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Wüstenväter

Sammlung von Gleichnissen der Wüstenväter

Autor: Wüstenväter

16. Oktober 2007

 Kirche   orthodox 
Lesezeit: ca. 66 Minuten

Dies ist eine Sammlung von Gleichnissen der Wüstenväter, wie sie seit dem 4. Jahrhundert in Ägypten, Palästina und anderen Orten gelebt haben. Diese geheimnisvolle, uns wenig bekannte Geisteswelt wird in ihren weisen Taten und Sprüchen offenbar.

Inhalt

Von Demut und Stolz

1

Ein Einsiedler beschwerte sich einmal beim Altvater, dass er in seiner Klausur jeden Morgen ab neun Uhr ein seltsames Hungergefühl verspürt. Und das, obwohl es ihm in dem Kloster, in dem er zuvor gelebt hatte, mühelos möglich gewesen war, ganze Tage ohne Nahrung auszukommen.

„Wundere dich nicht darüber, mein Sohn“, antwortete der Altvater. „In der Einöde gibt es niemanden, der Zeuge deines Fastens sein und dich durch Lob und Bewunderung nähren könnte. Zuvor, im Kloster, war die Ehrsucht dir Nahrung, und die Genugtuung, welche du verspürtest, wenn du dich durch deine Enthaltsamkeit vor den anderen hervortatst, war dir süßer als ein vollwertiges Mittagessen.“

2

Ein Wüstenvater wurde einmal gefragt: „Ist es gut, seinen Nächsten zu loben?“

„Zu schweigen ist noch besser“, antwortete der Altvater.

3

Einmal sagte ein Altvater, dass das Pferd, welches ein Mühlrad vorantreibt, all das in der Mühle befindliche Getreide auffressen würde, wenn man ihm nicht die Augen verbindet.

Ganz genau so verbirgt der Herr in Seiner Gnade jenes Gute vor uns, das wir tun. Denn sonst würden wir uns angesichts unserer guten Werke für besser halten, als wir tatsächlich sind, und unsere Eigenliebe würde den Wert all unserer guten Werke zunichtemachen.

4

Einmal rief man einen heiligen Altvater zum Rat, auf dem entschieden werden sollte, wie ein Mönchsbruder zu bestrafen sei, der sich versündigt hatte. Doch der Altvater weigerte sich, zu diesem Rat zu kommen. Die Brüder stritten und stritten, konnten sich aber nicht auf eine angemessene Strafe einigen; so beschlossen sie, den Altvater selbst aufzusuchen, um seinen Rat einzuholen.

Dieser sah das voraus, warf sich einen löchrigen, mit Sand gefüllten Sack über die Schultern und ging ihnen entgegen.

„Wo gehst du hin?“, fragten die Brüder den Altvater.

„Ich gehe zu euch, zum Rat.“

„Aber wozu hast du den Sandsack mitgenommen?“

„Woher wisst ihr denn, dass Sand in dem Sack ist?“

„Schau dich doch um! Dein Sack ist löchrig geworden, der Sand rieselt nach draußen.“

„Das ist kein Sand, sondern das sind meine Sünden, die hinter mich auf den Weg rieseln“, sagte ihnen der Altvater. „Aber ich schaue mich nicht nach ihnen um, sondern gehe stattdessen die Sünden der anderen beurteilen.“

Da verstanden die Brüder, was der Altvater meinte, und vergaben ihrem Bruder.

5

Unter den Mönchen eines Klosters besaß niemand den Rang eines Priesters. Der Klostervorsteher liebte es zu sagen:

„Das Sinnen des Stolzes ist wie Feuer in der Dreschscheune, das, wenn man es nicht sogleich löscht, die Werke eines ganzen Jahres zunichtemacht.“

6

Einmal traf sich der Vorsteher eines großen, von vielen Mönchen bewohnten Klosters mit einem Einsiedler, der seit vierzig Jahren in der Einöde lebte.

„Welche Askese übst du in deiner Einsamkeit, in der du von niemandem behelligt wirst?“, fragte ihn der Abt.

„Seit ich mich in die Einsamkeit zurückgezogen habe, war die Sonne niemals Zeugin dessen, dass ich mich zum Speisen niedersetzte“, antwortete der Einsiedler.

Der Abt dachte nach und sagte:

„Mich hat die Sonne niemals im Zorn gesehen.“

7

Ein heiliger Altvater wurde mehrfach gewürdigt, Visionen und Offenbarungen von Gott zu empfangen. Einmal baten die Brüder ihn darum, etwas von irgendeiner seiner Visionen zu berichten. Indem er sie vor der Selbstüberhebung jener Menschen warnte, die der Herr mit besonderen geistlichen Gaben bedachte, sprach der Altvater zu ihnen:

„Ihr wollt eine wunderbare Vision haben, und ich werde euch auf eine verweisen. Wenn ihr einen frommen Menschen seht, einen mit bescheidenem Herzen, einen reinen – das ist die vornehmste Vision. Denn in diesem Menschen könnt ihr den unsichtbaren Gott erkennen. Und fragt mich nicht nach anderen Visionen, die größer als diese wären.“

8

Ein Altvater vernahm einmal in seiner Zelle eine Stimme: „Steh auf und geh, Ich will dir die Werke der Menschen zeigen.“

Der Altvater stand auf und ging los. Die Stimme führte ihn an einen unbekannten Ort und zeigte ihm einen Menschen, der Holz hackte und es einem großen Bündel hinzufügte. Das Bündel konnte er schon gar nicht mehr aufheben oder von der Stelle bewegen, so groß war es; doch der Mensch fuhr unverdrossen damit fort, Holz zu hacken und das überschwere Bündel noch zu vergrößern.

Danach zeigte ihm die Stimme einen Menschen, der an einem Brunnen stand und mit einem zerbrochenen Krug Wasser schöpfte; das Wasser floss, des zerbrochenen Krugs wegen, immer wieder zurück in den Brunnen.

Dann sagte die Stimme zu ihm:

„Komm, Ich möchte dir noch etwas zeigen.“

Der Altvater sah eine Kirche und zwei Männer auf Pferden. Die Reiter hielten einen Balken an beiden Enden und versuchten, damit durch das Tor hereinzureiten. Da aber keiner der beiden den anderen vorlassen wollte, stellte sich der Balken vor dem Tor quer und behinderte so beide am Eintritt.

„Das sind Menschen, die scheinbar die Bürde der Wahrheit tragen, aber sie tun das mit Stolz und wollen sich nicht demütigen, um sich zu bessern und den Weg der Demut zu gehen. Deshalb bleiben sie vor den Toren zum Himmelreich“, erklärte die Stimme. „Der, welcher das Holz hackt, ist ein Mensch, der von Gesetzlosigkeiten beschwert ist und, anstatt zu bereuen, seinen alten Sünden immer neue hinzufügt. Der aber, welcher mit dem zerbrochenen Krug Wasser schöpft, ist einer, der zwar gute Werke tut, ihnen aber schlechte beimischt und dadurch alles Gute zunichtemacht.“

Man muss sich selbst gegenüber sehr aufmerksam sein, damit man sich nicht fruchtlos müht.

9

Ein Einsiedler erreichte solche Höhen der Heiligkeit, dass er in Frieden inmitten von wilden Tieren lebte und sie ihm nichts zuleide taten. Er fütterte sogar die Tierkinder, und die Tiere fügten ihm keinerlei Schaden zu. Als einer der Väter aus dem Kloster ihn so sah, gab er ihm einen Rat:

„Wenn du noch vollkommener werden möchtest, so geh ins Kloster und versuche, mit den Brüdern zurechtzukommen.“

10

Man bat einen Altvater darum, er möge erklären, aus welchem Grund sich manche Menschen für die Einsiedelei entscheiden.

„Solange die Jungfrau im Hause ihres Vaters lebt, begehren viele sie zur Braut. Wenn sie aber heiratet, gefällt sie nicht mehr allen. Die einen loben sie, die anderen erniedrigen sie, aber sie hat in keinem Fall mehr die Ehre, die sie hatte, solange sie noch im Verborgenen lebte. So ist's auch mit der Seele: sobald sie jedem offenbar wird, kann sie es nicht mehr allen recht machen, und es ist besser für sie, wenn sie sich demütig verbirgt.“

11

Ein Wüstenvater wurde ins Bischofsamt gewählt. Er weigerte sich lange Zeit, die Wahl anzunehmen, doch die Brüder bestanden darauf, so dass er schließlich einwilligen musste. So kam es, dass er über sich selbst dachte:

„Ich wusste nicht, dass ich einer solchen Ehre würdig bin. Bestimmt gibt es in mir einige gute Züge.“

Nachts aber erschien ihm ein Engel und sagte zu ihm:

„Warum überhebst du dich? Die Menschen haben gesündigt und haben sich zur Strafe und Buße dich erwählt. In der ganzen Einöde gibt es keinen schlimmeren als dich.“

12

Ein Mensch fragte einmal einen Altvater: „Was soll ich tun? Die ganze Zeit über werde ich von einer gewissen Last niedergedrückt.“

Der Altvater antwortete ihm mit einem Gleichnis:

„Sowohl auf den kleinen, wie auch auf den großen Schiffen haben die Matrosen Gürtel. Wenn es keinen günstigen Wind gibt, so lassen sie ein Tau herab, schlingen sich die Gürtel um die Schultern und schleppen das Schiff ein Stück weit, bis Gott wieder Wind aufkommen lässt. Wenn die Reisenden aber wahrnehmen, dass die Dunkelheit hereingebrochen ist, fahren sie zum Land hin und treiben einen Pflock in die Erde, an dem sie das Schiff festmachen, so dass es nicht wegtreibt. Dieser Pflock ist für den Menschen die Selbstverurteilung.“

13

Einmal sprachen die Mönche über die Demut und darüber, dass je näher ein Mensch Gott ist, desto klarer er seine eigene Sündhaftigkeit wahrnimmt.

Ein Pilger – ein reicher Städter – hörte zufällig das Gespräch und wunderte sich:

„Wie kann so etwas sein?“

Da sprach einer der Mönche zu ihm:

„Herr, sage uns doch, was giltst du in deiner Stadt?“

„In meiner Stadt bin ich der Reichste, ich bin bekannt und habe einen guten Namen.“

„Wenn du aber in die große Handelsstadt kommst, für wen hieltest du dich dort?“

„In dieser Stadt wäre ich wohl der Geringste unter den Reichen.“

„Wenn du nun aber nach Konstantinopel kommst und in die Nähe des Kaisers gerätst, für wen hieltest du dich in diesem Fall?“

„In Gegenwart des Kaisers käme ich mir fast wie ein Bettler vor.“

„So geht es auch den Heiligen“, sagte der Mönch. „Je näher bei Gott sie sind, desto klarer erkennen sie ihre eigene Sündhaftigkeit.“

14

Ein Altvater ging mit seinem Jünger durch die Einöde, als sie plötzlich einen Drachen sahen; beide nahmen vor ihm Reißaus.

„Hat denn selbst dich, Altvater, die Furcht vor diesem Drachen ergriffen?“, fragte der Jünger.

„Nein, mein Sohn, ich hätte den Drachen durch das Gebet bezwingen können. Aber dann bekäme ich es mit dem Geist der Eitelkeit zu tun. Es war heilsamer für mich, Reißaus zu nehmen.“

15

Einmal kam ein Mensch ins Kloster. Er sah, dass die Brüder arbeiteten, und sagte dem Klostervorsteher mit den Worten der Schrift:

„Wirket nicht für die Speise, die vergeht. Maria aber hat das gute Teil erwählt (Lk 10:42).“

Der Klostervorsteher gebot, ihm ein Buch zu geben und ihn in eine leere Zelle zu bringen.

Als die neunte Stunde schlug, horchte der Gast an der Zellentür, ob man nicht nach ihm schickte, dass er zur Tafel käme. Da ihn aber niemand rief, begab er sich schließlich selbst hinaus, ging zum Klostervorsteher und fragte:

„Abba, haben denn die Brüder heute nicht gegessen?“

„Doch, sie haben gegessen“, antwortete der Klostervorsteher.

„Wieso habt ihr mich nicht gerufen?“

„Weil“, so antwortete der Klostervorsteher, „du ein geistlicher Mensch bist und keinen Bedarf an Speisen hast. Wir aber, die Irdischen, wollen essen, deshalb arbeiten wir. Du hast das gute Teil gewählt, du liest den ganzen Tag, wozu brauchst du noch Speisen?“

Der Mensch begriff sogleich alles, warf sich dem Altvater vor die Füße und bat ihn um Vergebung.

„So hat auch Maria Bedarf an Martha“, sagte der Klostervorsteher zu ihm. „Denn auch Maria wird der Martha wegen gelobt.“

16

Ein Bruder goss einmal einem Altvater, der krank war, statt Honig Leinöl in die Speise, welches seiner Gesundheit schadete. Der Altvater sagte aber nichts dazu und verspeiste dieses Leinöl beim ersten und auch beim zweiten Mal. Als der Bruder seinen Fehler bemerkte, wurde er sehr traurig und sagte:

„Fast hätte ich dich umgebracht, Abba, und du hast mir diese Sünde noch dadurch aufgebürdet, dass du dazu geschwiegen hast.“

Doch der Altvater erwiderte ihm mit aller Sanftmut:

„Sei nicht traurig, Kind: wenn es Gott gefallen hätte, dass ich Honig esse, so hättest du mir sicherlich Honig gegeben.“

Von der Weisheit

17

Ein Kriegsherr, der von einer Unterhaltung mit einem Altvater ganz begeistert war, wollte diesen, als er sich auf den Heimweg machen wollte, zum Bleiben bewegen. Doch der Altvater sagte zu ihm:

„So, wie die Fische zugrunde gehen, wenn sie zu lange ohne Wasser auskommen müssen, ist es auch mit den Einsiedlern, wenn sie ohne triftigen Grund zu lange mit den Weltlichen verbringen; sie spüren, wie ihre Frömmigkeit in solchen Gesprächen geringer wird. Ganz so, wie die Fische ins Wasser streben, müssen auch wir uns mühen, schnellstmöglich in unsere Einsamkeit zurückzukehren.“

Eine solche Antwort begeisterte den Kriegsherrn, und er ging zufrieden von dannen.

18

Ein Mensch legte einmal einen weiten Weg über Land und Meer zurück und kam schließlich in die Einöde, um einen berühmten Altvater zu treffen.

„Sage doch, welche Wunder wirkt euer Abba?“, fragte er einen jungen Mönch.

„Das kommt darauf an, was man als Wunder bezeichnet“, antwortete dieser. „Bei euch gilt es als Wunder, wenn Gott jemandem den Willen tut. Bei uns aber gilt es als Wunder, wenn jemand Gottes Willen tut.“

19

Einmal beschloss ein gewisser Philosoph, die Verstandeskraft eines Wüstenvaters zu versuchen und stellte ihm drei Fragen.

„Wer ist es, der nie geboren wurde, aber starb? Wer ist es, der geboren wurde, aber nie starb? Wer ist es, der geboren wurde, starb, aber dessen Leib verklärt weiter existierte?“

„Der erste ist Adam“, sagte ihm der Abba. „Denn er wurde nie geboren, sondern wurde durch Gottes Hand geschaffen und beendete sein Leben mit dem Tod. Der zweite ist Henoch, der geboren wurde wie die anderen Menschen, aber nicht starb, sondern lebendig in den Himmel entrückt wurde. Der dritte – das ist Lots Ehefrau, deren Leib in eine Salzsäule verwandelt wurde.“

Vermutlich hatte der Philosoph andere Antworten erwartet, aber darauf hatte er nichts mehr zu entgegnen.

20

Als man einen Altvater fragte, warum er dem Weltlichen den Rücken gekehrt hatte, antwortete dieser so:

„Solange das Wort noch nicht ausgesprochen ist, ist es Gefangener dessen, der es aussprechen will. Wenn das Wort aber gesprochen ist, dann ist derjenige, der es ausgesprochen hat, sein Gefangener. Ich habe oft die Dinge bereut, die ich gesprochen habe, aber ich hatte es nie zu bereuen, dass ich geschwiegen habe.“

21

Ein Bruder, der von einem anderen gekränkt wurde, kam zum Altvater und sprach:

„Dieser Mensch hat mich beleidigt, ich aber werde mich dafür rächen.“

Der Altvater sagte ihm:

„Das solltest du nicht tun, mein Sohn. Überantworte lieber Gott das Werk der Rache.“

„Nein, denn ich werde keine Ruhe finden, bis ich mich gerächt habe“, sagte der Mönch.

Da sagte der Altvater:

„Lass uns beten, Bruder.“

Sie erhoben sich zum Gebet, und der Altvater begann so:

„Gott! Wir bedürfen Deiner Sorge um uns nicht mehr: wir wollen für uns selbst Rache nehmen…“

Als der gekränkte Mönch das hörte, warf er sich vor dem Altvater zu Boden und rief:

„Vergib mir, Abba! Ich will nicht mehr mit meinem Bruder hadern.“

22

Ein Altvater und sein Jünger kamen in ein Kloster, wo die Mönche sie dazu überredeten, etwas Speise zu sich zu nehmen, damit sie sich vor ihrem Weg kräftigen.

Als sie die Klostermauern verließen, holte der Jünger einen Zwieback hervor, den er nicht verspeist hatte, und begann, daran zu knabbern.

„Was tust du da?“, fragte der Altvater. „Es ist die Zeit des Fastens!“

„Aber haben wir denn nicht soeben erst im Kloster gegessen?“, wunderte sich der Jünger.

„Das haben wir, aber das taten wir aus Liebe“, antwortete der Altvater. „Nun aber, mein Sohn, müssen wir unser Fasten halten.“

23

Die Weisheit der alten ägyptischen Mönche entsprang in der Regel nicht ihrer Beschäftigung mit den Wissenschaften oder ihrer Bildung, aber zu dieser Regel gab es auch Ausnahmen.

Einmal gestand ein Altvater:

„Ich habe viele Mühen unternommen, um viele Bücher zu lesen. Was ich aber darin vorfand, war gar nicht so viel wert…“

„Nun ja, viele begeben sich zum Fischfang und bringen nichts als Rückenschmerzen mit heim“, bemerkte dazu ein anderer Abba.

24

Das begab sich in alten Zeiten, als die Bischöfe auch noch die Rolle von Richtern versahen. Einem Bischof wurde eine Frau vorgeführt, die der Sünde des Ehebruchs bezichtigt wurde.

Nachdem er sie angesehen hatte, sagte der Heilige:

„Du hast ein Kind empfangen, und dir steht eine schwere Geburt bevor.“

Dann wandte er sich an seine Bediensteten:

„Gebt ihr zehn Ellen Leinenstoff. Wenn sie bei der Geburt stirbt, so wird ihr das Leinen zum Sterbegewand gereichen, wenn sie aber ein Kind zur Welt bringt, so wird es dem Kind von Nutzen sein.“

Mit diesen Worten entließ er die Frau, ohne eine Strafe über sie zu verhängen. Da rief einer, der beim Gericht zugegen war und den es danach gelüstete, dass die Sünde bestraft werde:

„Dieser Bischof ist ja irrsinnig!“

Daraufhin erwiderte der Heilige in aller Ruhe:

„Lange Jahre habe ich in der Einöde in Schweigsamkeit um die Gabe eines solchen Irrsinns gebetet, und nun werde ich ihn gegen keine Weisheit der Welt eintauschen.“

25

Einmal traf ein Wüstenvater einen Blinden, der seinen Gesichtssinn in jungem Alter verloren hatte, es aber doch zuwege brachte, sich profundes Wissen in den verschiedensten Wissenschaften anzueignen. Dieser Wissenschaftler genoss zudem noch aufgrund der Reinheit seines Glaubens die Hochachtung der orthodoxen Geistlichkeit.

In einem trauten Gespräch gab er dem Altvater gegenüber zu, dass er den Verlust seines Gesichtssinns mitunter bedauerte und unter seiner Blindheit leide.

„Ich muss mich wundern, dass du, ein Mann von solchem Verstand, um das Auge trauerst, das wir gleich den Fliegen und den Ameisen besitzen. Und dass du dich nicht darüber erfreust, dass du das Licht der Apostel und der Heiligen besitzt. Es ist ja viel besser, den geistlichen Gesichtssinn zu haben als den leiblichen: ein einziger unreiner Blick der leiblichen Augen ist ja dazu im Stande, den Menschen in die Hölle hinabzuwerfen.“

26

Ein Altvater sprach so:

„Ein Schmied nimmt sich ein Stück Eisen und betrachtet es erst, um zu entscheiden, was er daraus fertigt: eine Sense, ein Schwert oder eine Axt. So müssen auch wir uns vorher Gedanken darüber machen, welche Tugend wir uns vornehmen, damit wir uns nicht vergeblich mühen.“

27

Einmal kamen zwei griechische Philosophen zum Altvater. Sie wussten, dass er die Philosophie nicht studiert hatte, und auch nicht die weltlichen Wissenschaften, und sie kamen mit der Absicht, ihn bloßzustellen.

Doch der Altvater sah sie von weitem, ging ihnen entgegen und fragte:

„Weshalb nehmt ihr Weisen so viele Mühen auf euch, um einen Toren zu sehen?“

Sie gaben zur Antwort, dass sie ihn nicht für einen Toren hielten, sondern ganz im Gegenteil von seiner Weisheit überzeugt seien.

Daraufhin sagte ihnen der Altvater:

„Wenn ihr euch dessen sicher seid, dass ich weise bin, dann solltet ihr meiner Weisheit nacheifern, denn es geziemt sich, dass man dem nacheifert, den man achtet. Käme ich zu euch, dann wäret ihr in der Position zu fordern, dass ich eurem Beispiel nacheifere. Da ihr euch aber zu mir, als zu einem weisen Menschen, begeben habt, so müsst ihr nun meinem Beispiel folgen und Christen werden.“

Es ist nicht überliefert, ob die Philosophen diesem heilsamen Rat folgten, jedoch wunderten sie sich sehr über den scharfsinnigen Verstand des Asketen.

28

Einmal begaben sich zwei Mönche auf den Weg, um einen berühmt gewordenen Altvater zu besuchen. Sie bestiegen ein Schiff und trafen dort einen Einsiedler, der den gleichen Weg wie sie nahm. Den ganzen Weg über schwieg der Einsiedler, die beiden Mönche aber zitierten laut die Sprüche der Väter und die Heilige Schrift oder erzählten einander von ihren Handarbeiten. Als das Schiff andockte, stellte sich heraus, dass der Einsiedler das gleiche Ziel wie die beiden hatte.

Als sie am Ziel eintrafen, sagte der Altvater zu den Mönchen:

„In diesem Altvater habt ihr einen guten Begleiter gefunden!“

Daraufhin wandte er sich an ihren Begleiter:

„Da hast du aber ein paar gute Brüder getroffen, Abba!“

Dazu sagte der Einsiedler:

„Sie sind gut, aber ihr Hof hat kein Tor. Wer will, geht zum Stall und bindet sich einen Esel los.“

Er meinte damit, dass sie alles, was ihnen in den Sinn kam, aussprachen.

29

In einem Kloster riet der Vorsteher den Mönchen, das Schweigen zu halten, denn er sah darin eine der wichtigsten Tugenden und einen Ausdruck von Weisheit. Einmal sagte er nach dem Gottesdienst zu ihnen:

„Flieht, Brüder.“

„Wohin sollen wir fliehen?“, fragte einer von ihnen. „Gibt es denn noch irgendwo einen einsameren Ort als diese Einöde?“

Da legte der Abba sich den Finger an den Mund und sagte:

„Hierher sollt ihr fliehen.“

Daraufhin begab er sich in seine Zelle und schloss die Tür hinter sich.

30

Ein gebildeter Mann, ein Theologe, kam zum Altvater. Als er sah, dass dieser nichts hatte als die Bibel, schenkte er ihm eine Ausgabe seines eigenen Bibelkommentars. Ein Jahr später kam der Theologe erneut zum Altvater und fragte:

„Vater, hilft dir denn mein Buch dabei, die Bibel besser zu verstehen?“

„Im Gegenteil“, antwortete der Altvater. „Ich muss immerfort auf die Bibel zurückgreifen, um zu verstehen, was du geschrieben hast.“

31

Ein Altvater sprach so:

„Ein Leben ohne Wort bringt mehr Nutzen, als ein Wort ohne Leben. Denn das Leben lehrt auch im Schweigen, wogegen Worte ohne Leben, obwohl sie doch erklingen, nur beschweren. Wenn sich aber das Leben und das Wort vereinen, dann bilden sie die Schönheit all dessen, was man zu wissen begehrt.“

32

Es lebte einmal ein berühmter Weiser, der sehr stolz auf seine Weisheit war. Da erfuhr er, dass irgendwo in der Einöde ein Altvater lebte, der etwas weiß, was selbst er noch nicht wusste. Der Weise begab sich also zu dem Wüstenvater, um zu erfahren, warum alle Welt nur von ihm redet. Doch da der Weg zu ihm lang gewesen war, war der Reisende sehr durstig geworden und bat als erstes um etwas Wasser zum Trinken.

Der Wüstenvater goss ihm also Wasser in einen tönernen Becher. Das Wasser floss bereits über den Rand hinaus, der Alte aber goss und goss.

„Was tust du?“, rief der Weise. „Der Becher kann doch nicht noch mehr Wasser fassen.“

„So kannst auch du, der du vom Stolz angefüllt bist, das nicht mehr fassen, was ich dir nun sagen werde“, antwortete der Wüstenvater. „Der Stolz macht den Menschen taub.“

Von der Geduld

33

Ein Altvater wurde einmal gefragt:

„Wie kannst du nur all die Geduld aufbringen, in vollkommener Einsamkeit an diesem völlig verworfenen Ort zu verbleiben?“

Er gab zur Antwort:

„Ich bin niemals in vollkommener Einsamkeit. Ich habe immer einen Gesprächspartner – den Herrn. Wenn ich möchte, dass Er mit mir spricht, dann lese ich in der Heiligen Schrift. Wenn ich selbst mit Ihm sprechen möchte, dann bete ich.“

34

Immer, wenn ein Jünger zum Altvater kam, um seine Sünden zu bekennen, sprach dieser zu ihm:

„Steh auf!“

„Aber ich bin schon so oft aufgestanden und doch wieder gefallen!“

„Steh wieder auf!“

„Wie lange soll das so weitergehen, dass ich falle und mich wieder erheben muss?“

„Bis der Tod dich ereilt – ob als Gefallenen, oder als Aufgestandenen“, antwortete ihm der Altvater.

35

Immer, wenn es um die Geduld ging, führte ein Altvater das folgende Gleichnis an.

In einer Stadt lebte ein kunstfertiger Barbier, der für jeden geschorenen Bart drei Kupfermünzen bekam. Da er aber täglich viele Bärte schor, sparte er sich, nachdem er sich etwas für sein Auskommen beiseitegelegt hatte, jeden Tag um die hundert Kupfermünzen an. Er hatte also ein durchaus geregeltes Einkommen, aber da erfuhr er, dass man in einer anderen Stadt weit mehr für das Scheren des Bartes zu bezahlen hatte.

„Je nun“, sagte er sich selbst, „wozu soll ich hier meine Zeit verlieren? Wie lange schon arbeite ich hier für nur drei Kupfermünzen. Dort aber könnte ich reich werden!“

Er überlegte nicht lange, verkaufte sein Habe und begab sich in die Stadt, in der er sich einen besseren Verdienst für seine Dienstleistungen erhoffte. Dort fand er alles so vor, wie man es ihm geschildert hatte. Tatsächlich bekam der Barbier dort weit mehr für ganz dieselbe Arbeit. Am Abend begab sich der Barbier mit viel Geld und zufrieden mit sich selbst auf den Markt, um sich etwas zum Abendessen zu kaufen. Doch dort war alles so teuer, dass er alles das ausgab, was er an diesem Tag verdient hatte. Von seinem großen Verdienst blieb nichts übrig.

Als er feststellte, dass es ihm jeden Tag so erging, begann der Barbier nachzugrübeln. Nun war es ihm nicht nur unmöglich, sich etwas zusammenzusparen, sondern es fiel ihm sogar schwer, überhaupt über die Runden zu kommen.

„Ich muss an meinen alten Ort zurückkehren, damit ich mir wenigstens etwas fürs Alter zurücklegen kann“, befand er. „Nun sehe ich aus Erfahrung, dass ich mit den Kupfermünzen dort eigentlich viel besser verdient habe als hier in der großen Stadt mit dem großen Geld. Hier kann ich kaum für meinen Unterhalt aufkommen, geschweige denn etwas sparen.“

36

Einst kamen einige Mönche zu einem berühmten Altvater und baten ihn darum, er möge ihnen einen Rat für das Heil der Seele geben.

Er sprach zu ihnen:

„Ihr wisst doch, was Christus im Evangelium lehrt. Das soll euch genügen.“

Da sie ihn aber weiter damit bedrängten, er solle ihnen irgendeinen Rat geben, sagte der Altvater zu ihnen:

„Erfüllt das, was der Heiland geboten hat: Wer irgend dich auf deinen rechten Backen schlagen wird, dem biete auch den anderen dar (Mt 5:39).“

Sie gaben zur Antwort, dass sie dafür nicht genügend Kraft hätten.

„Wenn ihr keine Kraft dafür habt, den andern Backen darzubieten, dann tragt es mit Geduld, wenn man euch schlägt.“

Sie antworteten, dass sie auch das nicht könnten.

„Wenn ihr auch das nicht könnt“, sagte der Abba, „dann antwortet wenigstens nicht mit Bösem auf das Böse.“

Sie sagten, dass auch das ihre Kräfte übersteige.

Da wandte sich der Altvater an seinen Jünger und sagte:

„Geh und bereite ihnen etwas Brei zu, dass sie zu Kräften kommen: ich sehe, dass sie sehr schwach sind. – Wenn ihr das eine nicht könnt und das andere nicht wollt, was kann ich da tun? Ihr müsst beten!“

37

Ein Bruder fragte einmal den Altvater:

„Wenn ich mich dem Zorn hingebe, aber meine Seele dazu zwinge, schlechten Umgang zu erdulden und einmal gut zu sein, was soll ich tun, wenn man mich ein zweites, ein drittes und auch ein viertes Mal beleidigt?“

Daraufhin sagte ihm der Altvater:

„Die Gebote Gottes befolgt man nicht nur einmal, sondern immer.“

Und er verglich einen Menschen, der die Gebote Gottes lediglich einmal befolgt, dann aber auf ihre Befolgung verzichtet, mit einem Toren, der einmal das ihm entgegengebrachte Brot empfängt, dann aber die Hand des Gebenden grob beiseite schlägt und jeden umzubringen droht, der ihm Nahrung reicht.

38

Das ereignete sich in einer schlimmen Zeit, als die Barbaren in die Einöde eingefallen waren und viele Klöster zerstörten.

Einigen Altvätern war die Flucht gelungen, und auf der Suche nach einem sicheren Ort hatten sie einige Zeit in einer uralten Kirche zu verbringen.

„Es soll ein jeder von uns hier einzeln und im Schweigen leben, wir wollen uns eine Woche lang nicht miteinander treffen“, schlug einer der Altväter vor.

So taten sie es auch. Dieser Altvater aber warf ein jedes Mal, nachdem er sich am Morgen erhob, einen Stein ins Gesicht einer in der Kirche befindlichen Statue, am Abend aber sagte er zu ihr: „Vergib mir“. So verfuhr er die ganze Woche über jeden Tag.

Als sie sich schließlich wieder trafen, fragten ihn die Mönche:

„Du hast an jedem Morgen einen Stein nach der Statue geworfen, dich aber am Abend vor ihr verneigt. Tut denn ein rechtgläubiger Mensch dergleichen?“

„Das habe ich euretwegen getan“, erklärte der Altvater. „Als ich den Stein nach der Statue warf, hat sie mir da etwas entgegnet, wurde sie gar zornig? Und als ich mich vor ihr verneigte, bewegte sie sich da etwa von ihrem Ort und sprach: «Dir vergebe ich nicht»?“

„Wir haben nichts dergleichen gesehen oder gehört.“

Daraufhin sagte der Altvater:

„Wir sind hier zusammen sieben Brüder. Wenn wir zusammenleben wollen, dann lasst es uns der Statue gleichtun, die sowohl gegenüber Beleidigungen, als auch gegenüber von Ehrerweisungen gleichgültig bleibt. Wenn ihr aber nicht so leben wollt – seht: die Kirche hat vier Tore, und ein jeder soll gehen, wohin er will.“

„Wir wollen es so tun, wie du es gesagt hast, und deinen Worten folgen“, sagten die Mönche und verbrachten die übrige Zeit in der Kirche gemeinsam in Frieden und Einvernehmen.

39

„Wenn ein Dorn in die Fußsohle eindringt und man ihn nicht daraus entfernen kann, ohne, dass das zu einer starken Blutung und zu Schmerzen führt, so reißt man nicht mit Gewalt daran“, sagte einer der Wüstenväter. „Erst behandelt man ihn mit einem Zugpflaster und anderen erweichenden Mitteln, die den Dorn herausziehen. Ganz genau so kann ein Vorsteher, der es mit einem Menschen von bösem Charakter zu tun bekommt, diesen mit Sanftmut und Geduld zur Vernunft bringen.

Menschen weise anzuleiten ist keine einfache Sache. Wenn du siehst, dass jemand in Faulheit verfällt, ruf ihn unter vier Augen zu dir und versuche, ihn mit aller Geduld davon zu überzeugen, zu seinem vormaligen Eifer zurückzukehren. Wenn der Jünger aber all deine Überzeugung missachtet, lass ihn eine Zeitlang allein in der Hoffnung, dass Gott sein Herz berührt.“

40

Ein Altvater schaffte tönerne Gefäße in eine Stadt, wo er sie verkaufen wollte, und traf unterwegs auf einen Aussätzigen.

„Wohin gehst du, Abba?“, fragte der Aussätzige.

„In die Stadt, um die Gefäße dort zu verkaufen“, antwortete der Altvater.

„Erweise mir eine Gnade, Abba, trage auch mich dorthin!“

Der Altvater hob ihn auf und trug ihn in die Stadt. Der Kranke sagte:

„Lege mich dort ab, wo du deine Gefäße verkaufst!“

So tat es der Altvater. Als er ein Gefäß verkauft hatte, fragte ihn der Aussätzige:

„Für wie viel hast du es verkauft?“

Und als der Altvater ihm den Preis mitgeteilt hatte, sagte er:

„Kauf mir einen Kuchen.“

Der Altvater kaufte ihm zu essen, und als er ein zweites Gefäß verkauft hatte, bat ihn der Kranke wieder:

„Kauf mir noch einen Kuchen.“

Der Kranke empfing wieder seine Speise. Als der Altvater schließlich alle seine Gefäße verkauft hatte und sich bereitmachte, in seine Einöde zurückzukehren, sagte der Aussätzige zu ihm:

„Erweise mir eine Gnade, schaffe mich wieder dahin zurück, wo du mich hergebracht hast.“

Der Altvater hob ihn auf und schaffte ihn an den Ort zurück.

„Gesegnet bist du von Gott im Himmel und auf Erden!“, sagte der Aussätzige zu ihm.

Der Altvater blickte sich um, sah aber niemanden mehr, denn das war ein Engel des Herrn, der gekommen war, seine Geduld auf die Probe zu stellen.

41

Man erzählte von einem Mönch, dem der Altvater einen ungewöhnlichen Gehorsam auferlegt hatte. Er pflanzte in der Wüste einen trockenen Baum und gebot, diesen jeden Tag mit einem Becher Wasser zu gießen, bis er Früchte trägt. Wasser aber hatten sie von sehr weit heranzuholen, so dass der Jünger sich am Abend auf den Weg machen musste und erst gegen Morgen zurückkehrte. Nach drei Jahren grünte der Baum und trug schließlich Frucht.

Der Altvater riss ihn heraus, schaffte ihn ins Kloster und sagte zu den Brüdern:

„So kostet doch von der Frucht des Gehorsams.“

42

Einst lebte ein Mönch in der ägyptischen Wüste. Die Versuchungen quälten ihn derart, dass er eines Tages beschloss, das Mönchsleben aufzugeben und zu gehen, wohin ihn das Schicksal verschlägt.

Als er sich seine Sandalen überzog, sah er in der Nähe einen anderen Mönch, der sich auch in aller Eile Schuhwerk anlegte.

„Wer bist du?“, fragte der Mönch den Unbekannten.

„Ich bin dein eigenes Ich“, hörte er zur Antwort. „Du musst nämlich wissen, dass, wo immer du auch hingehen magst, ich auf jeden Fall mit dir kommen werde.“

43

Ein Altvater wurde gefragt:

„Was bedeutet der Ausspruch des Apostels Paulus: Kaufet die Zeit aus, denn die Tage sind böse1 (Eph 5:16)?“

Dieser antwortete:

„Die Worte des Apostels lehren, wie man Nutzen aus der Zeit gewinnt. Ist für dich beispielsweise die Zeit angebrochen, Schmähungen zu erdulden? Du aber erkaufe die Zeit der Schmähungen durch Demut und Langmut. Steht es dir bevor, Ehrlosigkeit zu erleben? Erkaufe dir die Zeit mit Geduld, und du wirst Gewinn daraus ziehen. Auf diese Weise wird die schwierigste Zeit in unserem Leben uns zum Nutzen gereichen.“

44

Ein gewisser Mensch kam zum Altvater und redete über Dinge, die er noch nicht vollbracht hatte.

Der Altvater hörte ihn eine Zeitlang an und sagte schließlich:

„Du hast noch gar kein Schiff erworben, deine Habseligkeiten noch nicht darauf verladen, und bist, noch bevor du überhaupt in See gestochen bist, schon in der Stadt angekommen. So geht das nicht: wappne dich mit Geduld, und wenn du dein Werk vollbracht hast, komme zu mir und erzähle davon.“

45

Es lebten drei fleißige Mönche. Der eine von ihnen widmete sich der Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den Menschen, der andere besuchte die Kranken, und der dritte begab sich in die Einöde, um der Schweigsamkeit nachzugehen.

Der erste mühte sich, die Streitigkeiten zwischen den Menschen zu schlichten, konnte sie aber doch nicht von all ihrem Zwist erlösen und verfiel schließlich in Mutlosigkeit. Als er sich zum zweiten Bruder begab, welcher die Kranken besuchte, fand er auch ihn verunsichert und ermattet vor. Da gingen die beiden zu dem Einsiedler, klagten ihm ihre Not und baten ihn zu erklären, warum es ihm in der Einöde so gut ging.

Nach einem gewissen Schweigen goss der Einsiedler Wasser in ein Gefäß und sagte:

„Seht auf das Wasser.“

Das Wasser aber war trüb, man konnte nichts darin erkennen. Nach einer Weile sagte er wieder:

„Seht wieder hin, das Wasser ist nun abgestanden.“

Die Mönche blickten auf das Wasser und sahen darin ihre Gesichter wie in einem Spiegel. Da sagte der Einsiedler zu ihnen:

„So ist es mit den Mönchen. Wenn sie unter den Menschen leben, so fällt es ihnen durch die ständigen Wirren und Aufregungen schwer, ihre eigenen Sünden zu erkennen. Verharren sie aber in der Einöde im Schweigen, so können sie sehr gut erkennen, was sie an sich selbst zu bessern haben.“

46

Eine angesehene Frau begab sich auf Pilgerschaft an die heiligen Orte und beschloss, dass sie ihr Leben daraufhin in Frömmigkeit zubringen will.

„Gebt mir ein vortreffliches Mädchen als Magd, dass sie mich lehre, mein Leben auf neue Weise zu leben“, bat sie den Bischof.

Der Bischof gab ihr das stillste und gutherzigste Mädchen, das er nur ausfindig machen konnte, in den Dienst als Magd.

Einige Zeit später traf er die Herrin in der Stadt und fragte sie über ihre Magd aus.

„Sie beträgt sich vorzüglich, aber sie gestattet es mir, alles zu tun, was ich nur will. Sie ist zu bescheiden, ich aber brauche jemanden, der es mir nicht gestattet, dass ich all meinen Regungen nachgehe.“

Da stellte der Bischof ihr ein Mädchen von widerspenstigem Gemüt als Magd ab, die mit der Hausherrin keinerlei Anstalten machte und sie nicht anders denn als «reiche Närrin» bezeichnete.

Bald darauf traf der Bischof wieder diese Frau und fragte sie:

„Und, wie macht sich das Mädchen?“

„Diese nun bringt meiner Seele tatsächlich großen Nutzen“, sagte sie. „Durch sie lerne ich Sanftmut und Demut.“

Von Barmherzigkeit und Uneigennützigkeit

47

Eines Tages ging ein Altvater mit seinem Jünger durch die Einöde; dem Jünger hatte er geboten, voranzugehen, um auf diese Weise überflüssige Unterhaltungen zu vermeiden.

Da traf der Jünger auf einen Götzendienerschamanen mit einem großen Stock in seinen Händen. Der Schamane lief offensichtlich irrsinnig durch die Gegend.

„Wohin läufst du, Dämon?“, rief ihn der Jünger an.

Der Götzendiener geriet über diesen Umgang in Rage, prügelte mit seinem Stock auf den Jünger ein und lief weiter.

Als er sich dem Altvater näherte, begrüßte dieser ihn sanftmütig und sprach:

„Ich kann sehen, dass du viele Mühen zu tragen hast und sicher sehr müde bist.“

Der Götzendiener wunderte sich über eine solche Begrüßung und fragte:

„Weshalb grüßest du mich?“

„Ich tue das“, antwortete der Heilige, „weil ich erkenne, dass du von Müdigkeit geplagt bist. Und da du ermattet bist, achtest du nicht darauf, dass dir all deine Mühen zu nichts nutze sind.“

„Deine Barmherzigkeit berührt mich“, antwortete der Götzendiener. „Ich sehe, dass du ein Mann Gottes bist. Ganz anders als der andere Mönch, den ich zuvor getroffen habe…“

Durch eine Regung der Gnade bewegt, warf der Götzendiener sich dem Altvater vor die Füße und begehrte es, ein Christ zu werden.

48

Ein gutherziger Altvater war dadurch bekannt, dass er gegenüber den Sündern sehr sanftmütig und barmherzig war.

Einmal kam er zu einem Kranken, um ihm die Beichte abzunehmen, und konnte erkennen, dass dieser unschlüssig ist.

„Ich bestehe nicht darauf, dass du beichtest“, sagte der Altvater. „Ich will auch unter gar keinen Umständen, dass du, von der Furcht bewegt, vorschnelle Entscheidungen triffst. Schlafe in Frieden ein, und wenn du morgen erwachst, dann rufe mich herbei.“

49

Einmal begehrte ein berühmter Abba, Weintrauben zu essen, und man brachte ihm eine wunderbare frische Rebe. Als er sie sah, wollte der Altvater sie aber einem anderen Bruder schenken, der ihrer – so meinte er – aufgrund seines Gesundheitszustands mehr bedurfte. So war er sehr zufrieden, dass er auf diese Weise Enthaltsamkeit und Barmherzigkeit zugleich üben konnte.

Dieser Bruder war über das Geschenk, das der Heilige ihm senden ließ, sehr erfreut. Und obschon er sehr begehrte, die Weintrauben zu essen, beschloss er doch, seinerseits auch das Opfer der Enthaltsamkeit zu bringen. Er dankte Gott und brachte die Weintrauben einem dritten Bruder. Aber auch der dritte Bruder rührte sie nicht an, sondern übergab sie einem weiteren Klosterbruder, der wiederum ganz genauso verfuhr.

Schließlich war die Weinrebe von Hand zu Hand durch alle Zellen des Klosters gegangen, derer es sehr viele gab und die weit voneinander entfernt lagen. Der letzte Bruder übergab die Weintrauben freudig an den Klostervorsteher, der seiner Meinung nach eines solchen Geschenks am würdigsten war.

Der heilige Altvater erkannte die Weinrebe sogleich. Als er sich davon überzeugte, dass es sich wirklich um ganz dieselbe Rebe handelte und niemand sie angerührt hatte, da jedermann ein Beispiel an Enthaltsamkeit und Barmherzigkeit geben wollte, dankte er Gott für ein solch großes Geschenk für seine Seele.

50

Ein Mensch fragte einmal den Altvater, ob Gott denn den Sündern Vergebung schenke.

Darauf antwortete der Altvater:

„Sage mir, wenn du dir deine Hand verletzt oder das Bein brichst, wirst du dir etwa diese Gliedmaßen abschneiden und sie als unnütz von dir werfen?“

Der Mensch antwortete:

„Natürlich nicht. Ich werde sie behandeln, bis sie wieder gesund sind.“

So schloss der Altvater:

„Wenn du dich so um deinen Leib sorgst, wird denn Gott Seinem eigenen Ebenbild gegenüber nicht barmherzig sein?“

51

Vier Brüder kamen zu einem Asketen, und ein jeder von ihnen berichtete ihm von der Barmherzigkeit des anderen.

Einer von ihnen fastete viel, ein anderer war uneigennützig, der dritte hatte große Liebe, und vom vierten sagte man, dass er bereits seit zweiundzwanzig Jahren im Gehorsam bei seinem Lehrmeister verbrachte.

„Ich kann euch sagen, dass die Mühen des Letzteren mehr bedeuten als alle anderen“, sagte der Altvater, nachdem er sie angehört hatte. „Denn ein jeder von euch hat die Tugend, die er hat, selbst und nach dem eigenen Willen gewählt. Der Bruder aber, der auf seinen Willen verzichtet, tut den Willen eines anderen. Solche Menschen werden den Bekennern gleichgesetzt, wenn sie bis zum Ende im Gehorsam verbleiben.“

52

Zu einem Einsiedlermönch drang einmal ein Dieb vor. Als er bei diesem nichts von Wert vorfand, fragte er ihn verwundert:

„Wo ist denn all deine Habe?“

„Ich habe es im Oberen Hause versteckt“, sagte der Mönch und wies zum Himmel.

53

Einmal wurde ein Altvater krank. Der Presbyter brachte ihn in das Krankenhaus der Kirche, bettete ihn auf ein Lager und legte ein kleines Kissen unter seinen Kopf.

Ein Bruder kam, ihn zu besuchen, doch da er den Altvater auf einem Bett liegend vorfand, geriet er in Versuchung und sprach:

„Er bettet sich also auf einem weichen Lager, während wir alle Not leiden.“

Der Presbyter nahm den Mönch beiseite und fragte ihn:

„Welcher Arbeit bist du denn nachgegangen, als du vormals im Dorf gelebt hast?“

Dieser antwortete:

„Ich war Hirte.“

„Wie hast du damals gelebt?“

„Ich kam nur mit großen Schwierigkeiten über die Runden.“

„Wie aber lebst du jetzt in deiner Zelle?“

„Weit ruhiger.“

Da wies der Presbyter auf den Altvater und sagte:

„Dieser Abba nun war, bevor er Mönch wurde, ein Erzieher von Königen. Tausend in Gold, Edelsteine und Seide gekleidete Diener hörten auf sein Wort, und unter seinen Füßen waren kostbare Teppiche ausgelegt. Du hast als Hirte damals nicht das gehabt, was du nun besitzt, ihm aber standen alle Vergnügungen zur Verfügung, und er hat freiwillig auf sie verzichtet. So kommt es doch, dass du es bist, der sich jetzt bettet, während er Not leidet.“

54

Es lebte ein Altvater, der sich durch besondere Uneigennützigkeit und äußerste Armut auszeichnete und dabei allen noch Almosen gab. Einmal kam ein Bettler an seine Zelle und bat um eine milde Gabe. Der Altvater hatte nichts als etwas Brot, das er dem Bettler sofort freudig überreichte.

„Ich brauche kein Brot. Gib mir Kleidung“, sagte der Bettler.

Da er dem Bettler aber etwas Gutes tun wollte, nahm er ihn bei der Hand und führte ihn in seine Zelle, damit dieser selbst nahm, was ihm gefiel. Der Bettler fand nichts in der Zelle vor und überzeugte sich davon, dass der Altvater keine andere Kleidung besaß als die, welche er am Leibe trug.

Der durch die Güte des Altvaters tief bewegte Bettler öffnete seinen Tragesack, nahm alles heraus, was darin war, legte es in die Mitte der Zelle und sagte:

„Nimm das in deinen Besitz, du gute Seele! Ich aber kann alles, was ich brauche, an irgendeinem anderen Ort bekommen.“

55

Ein Bruder sagte zu einem heiligen Altvater:

„Ich habe eine große Sünde begangen und möchte drei Jahre lang Buße tun.“

Der Altvater gab ihm zur Antwort:

„Das ist sehr viel.“

„Aber doch wenigstens ein Jahr.“

„Auch das ist zu viel.“

„Wären denn wenigstens vierzig Tage angemessen?“

„Auch das ist viel“, sagte der Altvater. „Ich glaube, dass – wenn ein Mensch von ganzem Herzen bereut und fortan nicht mehr sündigt – der barmherzige Gott ihm auch nach nur drei Tagen Buße schon vergibt.“

56

Einmal kam ein frommer Laie zu den Altvätern, und diese baten ihn darum, er möge ihnen etwas zur Unterweisung sagen. Der Laie weigerte sich eine ganze Zeit lang, indem er sagte:

„Vergebt mir, doch ich bin doch selbst zu euch gekommen, um zu lernen, und ich kann nichts auf Grundlage der Schrift sagen.“

Da sie ihn aber weiterhin darum baten, erzählte er ihnen das folgende Gleichnis.

„Ein Mensch sagte zu seinem Freund: «Ich wünsche, den Kaiser zu sehen; komm mit mir.» Sein Freund entgegnete ihm: «Ich werde die Hälfte des Weges mit dir gehen.» Da sagte er einem anderen: «Komm mit mir, begleite mich zum Kaiser.» Dieser antwortete: «Ich begleite dich mit bis zum Hof des Kaisers.» Nun sagte er zu einem dritten: «Komm mit mir mit zum Kaiser.» – «Lass uns gehen», antwortete der dritte Freund; «ich führe dich bis zum Hof des Kaisers, begleite dich hinein, erzähle dir vom Kaiser und stelle dich ihm vor.»“

Die Brüder fragten den Laien:

„Was bedeutet dieses Gleichnis?“

Dieser aber antwortete:

„Der erste Freund – das ist die Askese, die uns auf den rechten Weg bringt. Der zweite Freund ist die Reinheit, welche die Himmel erreicht. Der dritte Freund aber ist die Barmherzigkeit, die den Menschen mit Freimut zum Kaiser Selbst – zu Gott – gelangen lässt.“

57

Der Altvater wurde über einen Menschen gefragt, ob dieser reich sei.

„Ich weiß das nicht“, antwortete er. „Ich weiß allein, dass er viel Geld besitzt.“

„Das hieße ja, er ist reich?“

„Viel Geld besitzen und reich sein ist nicht ein und dasselbe“, antwortete der Altvater. „Wirklich reich ist allein der, welcher vollauf damit zufrieden ist, was er hat. Der aber, welcher sich darum müht, mehr zu besitzen, als er bereits besitzt, ist ärmer als der, welcher nichts besitzt, dabei aber mit seinem Los zufrieden ist.“

58

Eines Tages lud ein reicher Mann den Altvater zu einem Besuch in seinem Hause ein. Der Palast war unglaublich prunkvoll und mit allerlei wertvollen Dingen angefüllt: mit Teppichen, Gemälden, mit teuren Gerätschaften und Möbeln.

Viele Stunden lang führte der Reiche seinen Gast von einem Saal in den nächsten und prahlte mit seinen Schätzen, und wurde dabei jeden Augenblick stolzer und zufriedener mit sich selbst.

Nachdem er schließlich seinen ganzen Palast vorgeführt hatte, fragte er:

„Was schweigst du? Wie ist dein Eindruck?“

Der Altvater lächelte und antwortete:

„O ja! Dass der Schöpfer die Welt so fest fügte, dass sie die Schwere eines so großen Palasts zu tragen imstande ist, und mit ihm zusammen auch noch dich und all deine Prahlerei aushält, hat auf mich einen großen Eindruck gemacht.“

59

Ein Bruder verfiel der Sünde, und als die Brüder ihn gar zu harsch verurteilten, begab er sich zum Altvater. Die anderen folgten ihm nach und beschrieben dem Altvater voller heißem Eifer das Vergehen ihres Bruders. Die Ankläger waren in diesen Augenblicken viel weniger vom Mitgefühl als von Stolz und Selbstgerechtigkeit erfüllt.

Unter den Mönchen fand sich einer, der angesichts der Hartherzigkeit der Ankläger folgendes sagte:

„Am Flussufer sah ich einen Menschen, der bis zu den Knien im Dreck stand, aber dank der Leute, die ihm ihre Hände entgegenstreckten, um ihn daraus zu befreien, versank er bis zum Hals darin.“

Der Altvater hörte sich dieses Gleichnis erfreut an und rief:

„Da ist ein Mensch, der wirklich der Wahrheit gemäß urteilt und fähig ist, die Menschen auf dem Weg zum Heil anzuweisen.“

Diese Worte veranlassten die übereifrigen Mönche zur Besinnung.

Von Glaube und Unglaube

60

Einmal versammelten sich einige Wüstenväter und gingen daran, über die Zukunft zu sprechen. Sie konnten klar erkennen, dass eine gewisse Schwäche des Gemüts Einzug in die Klöster hielt und dass unter den Mönchen die Glaubenstreue der Väter kaum noch anzutreffen war.

Einer von ihnen sagte:

„Wir bemühen uns nun, all das zu befolgen, was Gott uns geboten hat. Die, welche nach uns kommen, werden das nur noch zur Hälfte befolgen. Nach diesen wiederum werden andere kommen, deren Großteil davon schon gar nichts mehr befolgen wird. Aber die, welche unter diesen letzteren ihrem Gelübde treu bleiben, werden als solche, die durch unbeschreiblich große Versuchungen gegangen sind, am Ende höher stehen als wir und unsere Väter.“

61

Einmal kam einer der Wüstenväter in ein Kloster, dessen Mönche von ketzerischen Ansichten verdorben waren. Diese sagten, dass ihr Vorsteher einen Versuch anbiete: der berühmte Abba solle mit dem Vorsteher gemeinsam einen Fluss, auf dem Wasser laufend, überqueren, um damit zu zeigen, wer von ihnen recht hätte und Gott mehr gefällt.

Darauf sagte der Altvater:

„Ein Ketzer kann wohl auf dem Wasser laufen wie auf dem Festland, wenn Gott das zulässt und der Satan ihm hilft, denn letzterer möchte ihn ja in seinem unreinen Glauben bestärken und andere dazu verführen. Meine Gebete aber, meine Werke und Sorgen sind durchaus nicht darauf ausgerichtet, einen Fluss zu überqueren, indem ich über das Wasser laufe wie über festes Land. Sie dienen vielmehr dazu, Gott nicht zu erzürnen und jenen Feuerfluss zu überqueren, den zu überqueren einem jeden von uns vor dem Thron unseres Herrn Jesus Christus bevorsteht.“

62

Ein Altvater bewahrte ein Buch aus Leder, das ganze achtzehn Goldstücke gekostet hatte und in dem das gesamte Alte und Neue Testament aufgeschrieben war. Das Buch befand sich in der Kirche, damit ein jeder der Mönche es lesen konnte.

Ein Wanderer kam, um den Altvater zu besuchen, sah das Buch und stahl es.

Er begab sich damit in die Stadt und suchte eine Gelegenheit, das Diebesgut zu verkaufen. Es war aber nicht einfach, einen Käufer für ein so wertvolles Buch zu finden, doch schließlich willigte ein Händler darin ein, ihm das Buch abzukaufen.

„Aber gib es mir erst, dass ich es untersuche“, sagte der Händler. „Ich muss mich vergewissern, ob es seinen Preis wert ist.“

Der Händler brachte das Buch ins Kloster und zeigte es dem Vorsteher; der aber sagte ihm:

„Kauf dieses Buch. Es ist gut und den genannten Preis wert.“

Doch der Händler war arglistig und sagte dem Verkäufer am nächsten Tag:

„Ich habe das Buch dem Klostervorsteher gezeigt, und der sagte mir, dass es den von dir genannten Preis nicht wert sei.“

Als der Verkäufer das hörte, fragte er:

„Hat dir der Altvater nichts anderes über dieses Buch gesagt?“

„Nein, nichts mehr“, sagte der Händler.

„Ich kann dir dieses Buch nun nicht mehr verkaufen“, sagte der Dieb, den das Gewissen ohnehin schon quälte.

Er lief zum Kloster, bekannte dem Vorsteher alles, doch dieser wollte das Buch nicht zurücknehmen.

„Ich komme doch aber sonst nicht zur Ruhe!“, flehte der Wanderer.

„Wenn du sonst nicht zur Ruhe kommst, nehme ich dir dieses Buch ab“, sagte der Vorsteher schließlich.

Dieser Mensch aber blieb im Kloster und las bis ans Ende seiner Tage in dem wertvollen Buch.

63

Ein heidnischer König rief den christlichen Bischof zu sich und forderte von diesem, er möge seinem Glauben abschwören:

„Weißt du denn nicht, dass dein Leben in meine Hand gegeben ist?“

„Ich weiß, ich weiß es“, antwortete der Bischof. „Doch gestatte es mir, dir, o König, eine Frage zu stellen. Stelle dir vor, Herr, dass dein treuester Diener in die Hände deiner Feinde geraten ist. Die Feinde setzten alles daran, deinen Diener dazu zu bewegen, dich zu verraten. Er aber blieb in seiner Loyalität zu dir standhaft. Da rissen die Feinde ihm die Kleidung vom Leib und jagten ihn mit Schande davon. Und nun sage mir, Gebieter: wenn dieser dein Diener, nackt und für seine Treue erniedrigt, an deinen Hof zurückkehrt, wirst du ihn denn nicht mit Ehre und Ruhm belohnen? Wirst du ihm denn nicht die besten deiner Kleider geben, damit er seine Blöße bedecke?“

„Natürlich würde ich das tun“, antwortete der König. „Aber wozu sagst du all das?“

Da sagte der Bischof:

„König, du kannst diese meine irdische Kleidung von mir abreißen, das heißt, mich meines Lebens berauben. Aber der Herr – mein Herr – wird mich in bessere, neue Kleider kleiden.“

Der König ließ den Bischof gehen und forderte nie wieder von ihm, dass er dem christlichen Glauben abschwöre.

64

Ein junger Mönch fragte den Altvater:

„Vater, muss ich der Welt denn jetzt vollständig entsagen?“

„Sorge dich nicht darum“, antwortete der Altvater. „Wenn dein Leben wirklich christlich ist, dann wird die Welt sich selbst von dir abkehren.“

65

Man fragte einen Altvater:

„Vater, was ist das denn – die Trauer?“

„Traurig zu sein heißt, die ganze Zeit über nur an sich selbst zu denken“, antwortete er kurz.

66

Ein Asket mühte sich in Einsiedelei, und eines Tages musste er in einen anderen Teil der Einöde gehen, in dem es ein großes Kloster gab.

Die Mönche hörten, dass ein großer Altvater zu ihnen unterwegs ist, und gingen ihm entgegen. Das Antlitz des ruhmreichen Abba strahlte wie die Antlitze der Engel, seine bloßen Füße aber schienen den glutheißen Sand nicht zu spüren.

Jemand sprang hinzu, um Kleidung unter die Füße des Altvaters zu werfen und Umhänge über ihm auszubreiten, damit er vor der brennenden Sonne geschützt sei. Doch der Asket wies diese Gaben schweigend zurück, wünschte es auch nicht, Unterweisungen zu sprechen und schrieb lediglich zwei Worte in den Sand, mit denen er den Weg zum Heil wies: «Uneigennützigkeit» und «Schweigen».

Da verstanden alle, weshalb der Altvater die ganze Zeit schwieg und fremde Kleidung nicht einmal zeitweilig in Anspruch nehmen wollte.

67

Ein Asket lief durch die Einöde und traf auf ein Reitervolk, das gerade eine prunkvolle Bestattung abhielt. Inmitten ihrer Zeltsiedlung lag der Leib ihres Anführers auf einem großen, brennenden Scheiterhaufen.

„Welchen Glaubens war denn euer Anführer?“, fragte der Altvater.

„Wehe“, sagte man ihm; „er war ein Ungläubiger.“

„Es ist wahrlich ein großes Unglück“, sagte der Wüstenvater, „so prunkvoll gekleidet zu sein und nichts zu haben, wohin man geht!“

68

Ein Altvater fragte Gott:

„Herr! Warum sterben die einen Menschen in ihrer Jugend, während andere bis ins hohe Alter hinein leben? Weshalb sind die einen arm, andere reich? Weshalb sind die Ruchlosen reich, die Frommen aber arm?“

Daraufhin hörte er eine Stimme vom Himmel:

„Achte auf dich! Das aber sind Gottes Gerichte, und es besteht keinerlei Nutzen für dich darin, in sie einzudringen.“

69

Ein gewisser Hirte führte ein so reines Leben, dass er zu einem Hirten von Menschen wurde: in einer großen Stadt wurde er zum Bischof gewählt. In seiner großen Demut hat dieser Altvater selbst, da er bereits ein so hohes Amt bekleidete, weiterhin Schafe gehütet.

Einmal gegen Mitternacht drangen Diebe bis zu seinem Schafstall vor, um Schafe zu stehlen. Doch Gott, der den Hirten behütete, bewahrte auch die Schafe. Durch eine unerklärliche, unsichtbare Kraft wurden die Diebe beim Schafstall gefesselt.

Beim Morgengrauen kam der Bischof zu ihnen heran, sah sie so mit verbundenen Händen liegen und ahnte, was da vorgefallen war. Er betete, band die Diebe los und ermahnte sie, dass sie in Zukunft nur noch durch ehrliche Arbeit leben sollen.

Zum Abschied schenkte er ihnen ein Schaf und sagte liebevoll:

„Das ist, damit ihr nicht denkt, dass ihr die Nacht lang umsonst meinen Schafstall zu bewachen hattet.“

70

Man erzählte sich von einem Altvater, in dessen Gesicht man niemals ein Lächeln gesehen hatte. Da wollten die Dämonen ihn zum Lachen bringen, banden eine Feder an eine Stange und trugen sie mit großem Lärm und lustigen Deklamationen vor ihm hin und her.

Da er sie sah, lachte der Altvater.

Die Dämonen triumphierten und riefen:

„Ha! Du lachst ja!“

„Ich lache nicht“, antwortete ihnen der Altvater, „sondern ich mache mich über eure Kraftlosigkeit lustig. Seht nur, wie viele ihr seid, dabei tragt ihr nur eine einzige Feder.“

71

Einmal lebte ein Einsiedlermönch. Nach Jahren des Kampfes versprach ihm ein Dämon, dass er den Einsiedler fortan nicht mehr durch Versuchungen bedrängen wolle, wenn er, der Mönch, eine der drei Sünden begeht: Mord, Hurerei oder Trunkenheit.

Der Einsiedler dachte für sich nach: «Einen Menschen umzubringen ist das größte Böse, und dafür hat man die Todesstrafe verdient, sowohl nach Gottes Gesetz, als auch nach dem Gesetz der Menschen. In Hurerei zu verfallen und dadurch die bis dahin bewahrte Keuschheit zu verlieren wäre jammerschade. Sich einmal zu betrinken aber ist, wie es scheint, keine allzu große Sünde, denn danach ernüchtert der Mensch ja ziemlich schnell durch den Schlaf. Ich werde Wein trinken gehen, damit der Dämon mich fortan nicht mehr bedrängt, und danach werde ich friedlich in der Einöde leben.» Er nahm seine Handarbeit, verkaufte sie in der Stadt, ging in eine Spelunke und betrank sich.

Durch teuflisches Wirken kam er in dieser Spelunke mit einer schamlosen Frau ins Gespräch, die ihn schließlich verführte. Als er mit ihr die Sünde verübte, erschien unerwartet der Ehemann dieser Frau und brach eine Schlägerei vom Zaun. Der Mönch, der ihn bezwingen konnte, tötete ihn dabei versehentlich.

Auf diese Weise hatte er gleich alle drei Sünden begangen: Trunkenheit, Hurerei und Mord. Das, was der Mönch in Nüchternheit mehr als alles andere fürchtete, tat er unbesehen im Zustand der Trunkenheit und vernichtete damit im Handumdrehen seine langjährigen Mühen.

72

Einer der Wüstenväter wurde einst vom Erzbischof und von einem angesehenen Mann aus der Stadt besucht. Diese baten den Altvater eindringlich, er möge seine Weisheit mit ihnen teilen.

Der Altvater fragte:

„Werdet ihr aber das befolgen, was ich euch sage?“

Beide versprachen, alles, was er ihnen sagt, genauestens zu befolgen.

„Wenn ihr noch irgendwo etwas über mich hört, so glaubt dieser Lobhudelei nicht und kommt nicht mehr, um mich zu besuchen“, sagte der Wüstenvater.

73

Man erzählte sich von einem Altvater, der in einem Kloster den Gehorsam eines Schreibers versah.

Einmal kam einer der Brüder zu ihm und bat ihn, dass er ein Buch für ihn schreibe. Der Altvater vertiefte sich mit seinem Verstand in die Betrachtung, ließ beim Schreiben einige Zeilen aus und füllte sie mit Punkten an.

Als der Bruder das Buch entgegennahm, betrachtete er es und bemerkte:

„Abba, hier gibt es Auslassungen.“

Darauf sagte ihm der Altvater:

„Geh und befolge erst einmal das, was bereits geschrieben steht, und kehre dann zurück – dann werde ich dir auch das Übrige hineinschreiben.“

74

Einmal kamen einige der Brüder zu einem Altvater, der es seinem Verstand niemals gestattete, sich zu zerstreuen und der es nicht mochte, von den irdischen Dingen zu sprechen.

Sie sagten zu ihm:

„Gelobt sei Gott! In diesem Sommer hat es viel Regen gegeben: die Palmen sind gesättigt und lassen Ableger sprießen. Das bedeutet, dass wir wiederum Handwerk zu tun haben werden.“

Daraufhin entgegnete ihnen der Altvater:

„Ganz genau so erneuern sich die Herzen der Menschen, wenn der Heilige Geist in ihnen Wohnung nimmt, und sie wachsen in der Gottesfurcht.“

75

Ein Altvater erzählte das folgende Gleichnis von einer Seele, die es nach der Reue verlangte.

In einer Stadt lebte eine Frau; sie war sehr schön, hatte aber kein Ehrgefühl. Der Stadtregent verliebte sich in sie und bot ihr Hand und Herz, allerdings unter der Bedingung, dass sie sich künftig makellos betrage.

Die Frau schwor es und wurde alsbald zur Gattin des Stadtregenten. Ihre vormaligen Gesellen erfuhren davon, wurden darüber traurig und beschlossen schließlich, sie aus ihrem Hause fortzulocken.

„Wir geben ihr ein Zeichen mit einem Pfiff; sie wird zu uns herauskommen, und der Stadtregent wird davon nichts erfahren“, sprachen sie.

Wie sie es sich ersonnen hatten, so taten sie es auch.

Doch als die Frau das ihr bekannte Zeichen, den Pfiff, vernahm, floh sie in die inneren Gemächer und hielt sich die Ohren zu.

Und nun zur Auslegung dieses Gleichnisses: die schöne Frau, die aber ihrer Ehre verlustig gegangen war, ist die Seele; ihre Gesellen sind die Leidenschaften; der Stadtregent ist Christus; die Ehe ist die Reue, und der Pfiff sind die Verlockungen dieser Welt; die inneren Gemächer stellen das Leben gemäß den Geboten des Herrn dar.

Ganz genau so soll eine reuige Seele auch Zuflucht bei Gott nehmen.

76

In einer Siedlung war ein Altvater Priester, und er war groß vor Gott. Doch eines Tages gingen die Bewohner dieser Siedlung zum Bischof und beschwerten sich über ihn:

„Nimm diesen Alten von uns fort, wir halten es nicht länger mit ihm aus. Am Sonntag zelebriert er die Liturgie zu spät, außerdem hält er sich nicht an die vorgeschriebene Ordnung des Gottesdienstes.“

Der Bischof rief den Altvater zu sich und fragte ihn:

„Warum handelst du so? Kennst du denn die Vorschriften der heiligen Kirche nicht?“

„Wahrlich, so ist es, Despota“, antwortete der Altvater. „Du sprichst recht. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll. An den Sonntagen befinde ich mich die ganze Zeit seit dem Mesonyktion am heiligen Altar und beginne mit der Liturgie nicht, bevor ich den Heiligen Geist erblicke, wie Er auf den Altar herabfährt. Sobald ich aber die Herabkunft des Heiligen Geistes wahrnehme, beginne ich unverzüglich mit dem Gottesdienst.“

Da wunderte sich der Bischof über die Tugend des Altvaters und belehrte die Bewohner der Siedlung darüber, dass sie ein ungewöhnliches Glück mit diesem Altvater hatten.

77

Ein Mönch ging seiner Handarbeit nach und machte dabei plötzlich einen Fehler. Er ärgerte und grämte sich sehr, konnte den Fehler aber nicht entdecken, so dass er den ganzen Tag darüber nachgrübelte, was er nun weiter tun solle.

Plötzlich kam durch das Fenster ein ihm unbekannter Jüngling hereingeflogen und sprach zu ihm:

„Du hast einen Fehler begangen. Lass mich einmal tun, ich werde ihn ausbessern.“

Der Mönch erschrak und antwortete:

„Geh weg, fort von mir...“

„Aber du wirst doch dein Werk vollkommen unnütz machen und verlieren. Lass gut sein und ich helfe dir.“

„Fort von mir! Welches Böse hat dich hierherkommen lassen?“

„Aber du bist es doch selbst, der mich herbeigerufen hat, und du bist mein!“

„Warum das denn?“

„Du empfängst schon den dritten Sonntag in Folge die heilige Kommunion, während du noch Zorn gegen deinen Nachbarn im Herzen trägst.“

„Du lügst.“

„Nein, ich lüge nicht. Ich weiß alles. Du bist zornig gegen ihn wegen der Linsen. Ich aber bin der Geist der Nachträglichkeit, aus diesem Grund sind wir jetzt immer beisammen.“

Als der Mönch das hörte, warf er sein Handwerk beiseite und lief aus der Zelle hinaus, um sich schnell mit seinem Bruder zu versöhnen.

78

Einmal wurde ein Altvater sehr krank. Die Mönche holten einen erfahrenen Arzt herbei, aber dieser lehnte es ab, den Asketen zu behandeln, denn er sagte, dieser solle zuallererst seine Ernährung besserstellen. Die Brüder gingen daran, den Altvater davon zu überzeugen, auf den Arzt zu hören.

Der Abba willigte ein, die Speisen zu sich zu nehmen, die der Arzt verordnete. Als er danach wieder gesund wurde, sagte er voller Überzeugung zu seinen Jüngern:

„Denkt nicht, dass die Gesundheit von der Nahrung herrührt. Kraft und Gesundheit kommen von Christus. Denn auch die Märtyrer Christi ließen sich Gliedmaßen abtrennen, hielten im Feuer und in allerlei anderen Qualen aus. Ich aber! Ich kann nicht einmal eine leichte Krankheit aushalten, bat den Arzt darum, für mich zu sorgen und nahm Arzneimittel in Anspruch. Doch davon, dass ich darin einwilligte, habe ich keinerlei Nutzen. Es bleibt mir nur eines – meine Askese von vorn zu beginnen. Das ist die beste Arznei, denn Jener, auf dessen Weg ich schreite, wird natürlich meine Absichten kennen und weit besser für mich sorgen, als ich selbst das tun könnte.“

Er widmete sich mit dem vormaligen Eifer den asketischen Übungen, und der Herr stellte seine Gesundheit wieder her.

79

Es lebte einmal ein Altvater, der ein großer Asket war. Immer, wenn er die Liturgie zelebrierte, sah er die Engel, die zu seiner Rechten und zu seiner Linken zugegen waren. Aber er war in den Dogmen nicht sehr bewandert und hatte sich bei den Ketzern eine Ordnung des Gottesdienstes angeeignet, an der er auch festhielt, ohne, dass ihm sein Fehler bewusst war.

Einmal kam ein Mensch zu ihm, der ein Diakon und sehr bewandert in der Dogmatik war, und der Altvater zelebrierte in seiner Gegenwart die Liturgie.

„Vater, was du da während der sakralen Handlung gesprochen hast, stimmt nicht mit der orthodoxen Lehre überein, das musst du dir bei den Ketzern angeeignet haben“, sagte ihm der Diakon nach dem Gottesdienst.

Doch der Altvater, der wieder die Engel an seiner Seite wahrgenommen hatte, achtete nicht auf diese Worte.

„Du irrst, Vater, denn solches hat die Kirche verworfen“, beharrte der Diakon auf dem Seinen.

Nach all diesen Rügen und Ermahnungen wandte sich der Altvater an die Engel, als er sie am nächsten Tag, wie gewöhnlich, wieder erblickte:

„Das ist es, was mir der Diakon gesagt hat. Ist das denn wahr?“

„Höre auf ihn, denn er hat recht damit, was er sagt“, antworteten ihm die Engel.

„Aber warum habt ihr selbst mir das nicht gesagt?“

„Gott hat es so eingerichtet, dass Menschen durch andere Menschen zur Einsicht gelangen sollen.“

Von Lehrmeistern und Jüngern

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Es kamen einmal zwei Mönche zum Altvater und wollten diesen darum bitten, dass er ihnen raten möge, ob sie zu Besuch kommende Brüder freudig begrüßen sollten, oder ob es besser wäre, ihrer Freude keinen Ausdruck zu verleihen.

Sie waren noch nicht einmal so weit, ihre Münder zu öffnen, um ihre Frage darzulegen, da kam der Altvater ihnen schon zuvor, indem er ihr Anliegen erriet. Er setzte sie so, dass einer von ihnen zu seiner Linken, der andere zu seiner Rechten zu sitzen kam. Danach betrat er seine Zelle, warf sich Lumpen über und ging so bekleidet zwischen ihnen hindurch, ohne ein Wort zu sagen. Danach nahm er den Lumpen ab, zog sich die gute Kleidung über, die er zu Festtagen zu tragen pflegte, und ging abermals zwischen ihnen hindurch. Schließlich zog er sich wieder die Kleidung an, die er für gewöhnlich trug, setzte sich zwischen sie und fragte:

„Habt ihr gut darauf geachtet, was ich gerade getan habe?“

„Ja“, sagten sie.

„Aber habt ihr bemerkt, ob die veränderte Kleidung auch etwas in mir selbst verändert hat? Bin ich schlechter geworden, als ich die Lumpen trug? Wurde ich besser dadurch, dass ich meine beste Kleidung anlegte?“

„Natürlich nicht!“

„So merkt euch denn, das nichts von dem, was geschaffen ist – nicht einmal die Menschen selbst – durch sein Auftreten etwas an unserer inneren Welt verändern soll. Begrüßt die euch besuchenden Brüder mit Freude und in christlicher Liebe. Besucht euch aber niemand, dann verharrt in Sammlung des Geistes.“

81

Ein Bruder kam zu einem heiligen Altvater und sprach zu ihm:

„Abba, unterweise mich.“

Der Altvater antwortete ihm:

„In den Tagen unserer Väter gab es drei Lieblingstugenden: Uneigennützigkeit, Sanftmut und Enthaltsamkeit. Jetzt aber herrschen unter den Menschen Habsucht, Dreistigkeit und Gefräßigkeit. Suche dir selbst aus, was dir besser gefällt!“

82

Ein gewisser Wüstenvater wechselte häufig, ohne dem Verlassenen nachzutrauern, seinen Aufenthaltsort und nahm dabei weder Gerätschaften noch Proviant mit sich. Als er einmal eine längere Zeit am Bau einer neuen Zelle gearbeitet hatte, sagte er zu seinen Jüngern:

„Erhebt euch, lasst uns von hier fortgehen.“

Sie wunderten sich sehr über eine solche Entscheidung und fragten ihn:

„Weshalb hast du so viel Zeit in den Bau dieser Zelle gesteckt, wenn du sie sogleich wieder verlassen willst? Fürchtest du denn nicht, dass die anderen dazu sagen werden: «Schaut euch diese unbeständigen Leute an. Sie ziehen wieder fort. Sie können nirgends Fuß fassen»?“

„Es gibt Menschen, die unser Fortgehen verwirren wird“, antwortete ihnen der Abba. „Aber es werden sich andere finden, die anders über uns urteilen und sagen werden: «Seht, das sind wahrhaft glückliche Menschen, die ihre Bleibe verlassen, um den Willen Gottes zu befolgen, sich nämlich nicht darum zu sorgen, was sie haben». Es steht euch frei, mir nachzufolgen oder hier zu verbleiben. Was mich anbetrifft, so gehe ich fort.“

Die Jünger warfen sich dem Altvater vor die Füße und baten ihn darum, er möge ihnen erlauben, ihn zu begleiten.

83

Ein Altvater fragte die Jünger:

„Wer verkaufte den Josef nach Ägypten?“

„Seine Brüder“, antworteten die Jünger.

„Es waren durchaus nicht die Brüder“, sagte der Altvater, „sondern seine Demut, die ihn ausgeliefert hat. Denn Josef hätte doch sagen können, dass er ihr Bruder ist, er konnte ihnen widersprechen, aber er schwieg und ließ sich demütig verkaufen. Und seine Demut war es schließlich, die ihn zum Regenten über Ägypten machte.“

84

Ein Abba unterwies seine Jünger mit Hilfe des folgenden Gleichnisses:

„Man kann nicht dem Handwerk eines Juweliers nachgehen und dabei die Werkzeuge eines Ackerbauern benutzen, oder mit den Werkzeugen eines Schneiders Tischler sein. Für jedes Handwerk gibt es die ihm entsprechenden Werkzeuge. Selbst, wenn jemand in allen Handwerken bewandert wäre und eines davon ausüben will, so muss er das Werkzeug zur Hilfe nehmen, das diesem Handwerk entspricht. Entsprechend muss jemand, der das Gute tun will, die Werkzeuge des Bösen und der Unwissenheit verwerfen, also die Begierde danach, was in der Welt ist. Dann schon muss er sich mit den Werkzeugen des Guten wappnen und ans Werk gehen.“

85

Eines Tages schritten ein Altvater und sein Jünger durch die Tore einer großen Stadt, um dort den christlichen Glauben zu predigen. Ein Christ, der in dieser Stadt lebte, trat an den Altvater heran und sagte:

„Vater, die Bewohner dieser Stadt werden deine Predigten kaum brauchen können. Sie sind in ihren Herzen verstockt und widersetzen sich dem Wort der Wahrheit. Sie wollen überhaupt nicht lernen. Vergeude nicht deine Zeit mit ihnen.“

Der Altvater sah ihn an und sagte:

„Du hast recht.“

Einige Minuten später trat ein anderer Christ an den Altvater heran und sagte:

„Vater, zweifele nicht daran, dass man dich in dieser wunderbaren Stadt herzlich willkommen heißen wird. Die Leute warten auf dich und hoffen darauf, die teuren Worte der evangelischen Lehre zu vernehmen, die aus deinem Munde kommen. Sie sehnen sich nach Wissen und sind zum Dienst bereit. Ihre Herzen und ihr Verstand sind dir gegenüber geöffnet.“

Der Altvater sah ihn an und sagte:

„Du hast recht.“

Der Jünger hielt es nicht aus und fragte den Altvater:

„Vater, erkläre es mir doch, wie du sowohl dem einen, wie auch dem anderen ein und dieselben Worte sagtest, obwohl sie vollkommen entgegengesetzte Dinge geäußert haben?“

Der Altvater sagte zu seinem Jünger:

„Diese beiden Menschen sagten die Wahrheit, die ihrer Erkenntnis der Welt entspricht. Der erste der beiden sieht in allem nur das Schlechte, der zweite sucht nach dem Guten. Jeder von ihnen geht von seiner eigenen Erfahrung in der Erkenntnis der Welt aus. Keiner der beiden hat gelogen. Sie haben beide die Wahrheit gesagt. Nur nicht die ganze Wahrheit, denn die ganze Wahrheit kennt nur Gott allein.“

86

Ein Abba hatte einen Jünger, der groß im Gehorsam und dazu noch ein guter Schreiber war. Der Altvater liebte ihn für seinen Gehorsam. Außerdem hatte der Altvater noch elf andere Jünger, und diese waren traurig darüber, dass der Altvater den Schreiber mehr als die anderen liebte.

Als die anderen Altväter das Murren der elf Jünger vernahmen, rügten sie den Altvater. Da führte er sie zu den Zellen seiner Jünger.

„Bruder! Komm schnell heraus! Ich brauche dich“, wiederholte der Abba ein jedes Mal, wenn er an die Tür der Zelle klopfte.

Doch keiner seiner Jünger hatte Eile damit, ihm zu öffnen: einer sang gerade Psalmen und wollte den Gesang nicht unterbrechen, an anderer flocht Stricke und fürchtete, aufgrund der Hast sein Handwerk zu verderben.

Schließlich kamen sie zur Zelle des Schreibers.

Der Abba klopfte lediglich ganz sanft an die Tür und rief seinen Namen. Im gleichen Augenblick ging die Tür auf, und auf der Schwelle erschien ein Mönch mit einer Schreibfeder in der Hand.

„Sagt mir doch, Väter, könnt ihr meine anderen Jünger irgendwo sehen?“, fragte der Abba.

Dann betraten sie die Zelle, sahen das Schreibheft und konnten erkennen, dass dieser Jünger gerade dabei gewesen war, einen neuen Buchstaben aufs Papier zu bringen und zur Tür geeilt war, ohne ihn zu vollenden.

Da sagten die Altväter:

„Es ist gerecht, dass du ihn liebst, Abba. Auch wir lieben ihn, und Gott liebt ihn.“

87

Ein Altvater ging einmal auf dem Berg umher, auf dem er schon seit zehn Monaten keinen Menschen gesehen hatte, und traf einen Jäger.

Der Altvater fragte ihn, ob er schon lange hier sei.

„Schon seit elf Monaten laufe ich über diesen Berg“, antwortete der Jäger, „aber habe bisher niemanden getroffen als nur dich.“

Da ging der Asket in seine Zelle, schlug sich an die Brust und rief:

„O, du Unverständiger, du dachtest, dass du in strenger Zurückgezogenheit verharrst, da du eine Weile lang allein warst. Und da ist ein Laie, der längere Zeit als du in Einsamkeit verbracht hat, und sich dabei nicht einmal für einen Asketen hält.“

88

Ein Mensch fragte einmal den Altvater:

„Welches gute Werk soll ich tun?“

Der Abba gab ihm zur Antwort:

„Sind denn nicht alle Werke gleich? Die Schrift sagt: Abraham war gastfreundlich, und Gott verweilte mit ihm. Elias liebte die Schweigsamkeit, und Gott verweilte mit ihm. David war sanftmütig, und Gott verweilte mit ihm. Was also deine Seele begehrt, das tu auch; das Wichtigste dabei ist: bewahre dein Herz in Reinheit.“

89

Das Herz eines Menschen muss fernab einer jeglichen Leidenschaft gegenüber den Dingen und weit vom Urteil über die Handlungen der anderen entfernt sein.

„Lebe im Kloster immer so“, riet ein Altvater seinem Jünger, „wie am ersten Tag, als du dort angekommen bist – mit der gleichen Zurückhaltung in allen Dingen. Gestatte es dir nicht, dich in Angelegenheiten einzumischen, die dich nichts angehen oder die du nicht kennst. Dann wirst du dein Leben mit reinem Herzen verbringen.“

90

Ein Altvater besuchte eine Versammlung, und als er dort den Streit der Brüder hörte, kehrte er zu seiner Zelle zurück, ging einige Male um sie herum und trat erst dann durch die Tür.

Als die Jünger das nächste Mal zu ihm kamen, fragten sie ihn, aus welchem Grunde er im Kreis um seine Zelle herumgeschritten war.

Der Altvater antwortete:

„Meine Ohren waren voller Zwist, und ich ging im Kreis herum, um all eure Streitigkeiten aus meinen Ohren zu schütteln, so dass ich meine Zelle mit schweigendem Verstand betreten konnte.“

91

Einmal kamen die Brüder und einige Laien zu einem bekannten Altvater und baten ihn um eine Unterweisung. Doch der Altvater schwieg. Sie baten ihn umso eindringlicher, und so sagte der Abba schließlich zu ihnen:

„Als die Brüder in früheren Tagen fragten und all das befolgten, was man ihnen sagte, da legte Gott Selbst den Altvätern die Worte in den Mund. Jetzt aber, da alle nur noch fragen, aber nicht mehr befolgen, was sie zu hören bekommen, hat Gott die Gnade des Wortes von den Altvätern genommen. Sie finden nicht mehr, was sie sagen sollen, denn es gibt niemanden mehr, der ihre Worte befolgen würde. Deshalb habe ich für euch heute keine Unterweisung.“

Als die Brüder und die Laien das hörten, sagten sie:

„Bete für uns, Abba!“

92

Es gab in einer Skite einen arbeitsamen Bruder, der sich zwar körperlich mühte, im Verstand aber durch sein Sinnen zerstreut war.

Nachdem er von einem Altvater Worte der Unterweisung vernommen hatte, kehrte er zu seiner Zelle zurück, vergaß aber bis dahin, was ihm gerade erst gesagt worden war. Der Bruder ging wieder zum Altvater, um ihn zu fragen, kehrte wieder zu seiner Zelle zurück und vergaß die Worte abermals.

Als er den Altvater wieder traf, gestand er ihm:

„Weißt du, Abba, ich habe schon wieder vergessen, was du mir damals gesagt hast. Ich habe dich aber nicht nochmals aufgesucht, um dich nicht zu belästigen.“

Darauf sagte ihm der Altvater:

„Geh und entzünde den Leuchter.“

Der Mönch entzündete die Kerzen am Leuchter, und da fragte ihn der Abba:

„Und nun bringe andere Leuchter herbei und entzünde auch diesen vom ersten.“

Der Bruder tat so, wie es ihm sein Lehrmeister geheißen hatte, und der Altvater fragte:

„Hat der Leuchter etwas zu leiden, wenn man andere Leuchter von ihm entzündet?“

Der vergessliche Bruder antwortete:

„Nein.“

„So geht es auch mir. Selbst, wenn ihr alle zu mir kommen würdet, so behinderte das nicht die Gnade Gottes“, sagte der Abba. „Deshalb komm, wann du willst, und schäme dich deiner Vergesslichkeit nicht.“

Vom Gebet

93

Ein Jünger kam zum Altvater und bat diesen darum, dass er eine Frage klären möge: Warum nämlich er, der Jünger, auch keine drei Gebete verrichten kann, ohne sich dabei in Gedanken zu zerstreuen.

„Ich erfuhr von gewissen Menschen, dass sie, wenn sie beten, es niemals gestatten, dass ihr Verstand abschweift. So habe auch ich beschlossen, meinen Verstand mit größter Aufmerksamkeit im Zaum zu halten, konnte aber kaum drei Gebete verrichten, solange ich noch Herr über mein Sinnen war. Lehre mich, Vater, wie betet und hört man das Wort Gottes, ohne sich in Gedanken zu zerstreuen?“

Der Altvater antwortete ihm:

„Wenn ein Sklave einen freien Menschen sieht, dann will er, selbst, wenn dieser Mensch nur ein Bettler ist, auch die Freiheit erlangen. Wenn ein Armer einen Vorsteher sieht, dann möchte auch er ein Vorsteher sein. Wenn ein Vorsteher einen Kaiser zu Gesicht bekommt, dann möchte er ein Kaiser sein. Genauso soll auch die Gnade Gottes in all unseren Werken gegenwärtig sein, und wir müssen zu jeder Zeit den Herrn vor uns sehen, Ihm danken und Seine Gebote in unserem Herzen bewahren. Dann wirst du keineswegs der Sünde der Zerstreuung anheimfallen.“

94

Eine ehrwürdige Mutter sprach so:

„Wenn ich Gott darum bitte, dass alle Menschen mit mir zufrieden sind, dann müsste ich mich an jedermanns Tür zu Boden werfen. Ich will viel lieber Gott darum bitten, dass mein Herz vor jedermann rein ist.“

95

Ein Altvater sprach so zu seinen Jüngern:

„Wenn ein König sich anschickt, eine feindliche Stadt zu erobern, dann hält er vor allen anderen Dingen das Wasser und den Proviant zurück. Sein Feind muss sich, da er vor Hunger umkommt, ihm unterwerfen. So ist es auch mit den Sünden. Wenn ein Mensch in Fasten und Gebet verbleibt, so verlässt der Feind geschwächt seine Seele.“

96

Ein Asket unterstützte seine Jünger während des Gebets folgendermaßen:

„Vom Schlafe auf, Brüder! Ein brennender Leuchter wird, wenn Öl in ihm ist, nicht verlöschen, und solange das Licht brennt, wird sich ihm keine Ratte nähern, um den Docht abzufressen. Wenn das Öl aber ausgeht und der Leuchter erlischt, fassen die Ratten Mut und kommen heran. Sie sehen, dass es ringsumher dunkel ist und fressen den Docht ab, den Leuchter aber stoßen sie um. Wenn es ein tönerner Leuchter ist, dann zerspringt er; wenn er aber aus Kupfer ist, dann verbiegt er sich, und das Verbogene kann man noch richten. Gleiches passiert mit der nachlässigen Seele, die sich nicht vom göttlichen Wort nährt. Die Gnade des Heiligen Geistes, die der Mensch bei der Taufe geschenkt bekommt, tritt von ihm zurück, das Leuchten vergeht, und dieser Leuchter wird durch die Laster zerschlagen werden.“

97

Ein Mensch kam zu einem berühmten Altvater und sagte:

„Lehre mich, was ich tun soll, um Gott zu gefallen.“

Der Altvater antwortete:

„Wohin auch immer du gehst, habe immer Gott vor Augen. Ganz egal, was du tust, habe dafür ein Zeugnis in der Heiligen Schrift. An welchem Ort auch immer du lebst, verlasse ihn nicht zu schnell. Befolge diese drei Gebote, und du wirst gerettet werden.“

98

Einmal ging ein junger Mönch, der ein Jünger eines berühmten Altvaters war, mit selbigem am Ufer des Meeres entlang.

„Abba, ich bin sehr durstig“, sagte er.

Der Altvater blieb stehen, betete und sagte plötzlich:

„Trink aus dem Meer.“

Das Meerwasser war seinem Geschmack nach weder salzig noch bitter, sondern süß, wie aus einer Quelle.

Der Jünger ging daran, die Gefäße mit diesem wundersamen Wasser zu befüllen – für den Fall, dass es sie unterwegs wieder dürsten sollte.

„Was tust du?“, wunderte sich der Altvater. „Ist Gott nicht überall?“

99

Ein Wüstenvater verbrachte viele Jahre in Askese und sagte: „Ich habe in mir die Hurerei, die Habgier und die Ehrsucht abgetötet.“

Ein anderer Altvater kam zu ihm und fragte:

„Stell dir vor, du betrittst deine Zelle und siehst ein Weib auf deiner Flechtmatte. Kannst du etwa so denken, als gebe es sie nicht vor deinem Angesicht?“

„Nein“, antwortete der Wüstenvater. „Aber ich streite wider die Gedanken, so dass ich sie nicht berühre.“

„Dann hast du die Leidenschaft in dir nicht abgetötet. Sie lebt in dir, auch, wenn sie gezähmt ist. Wenn du nun unterwegs Steine und Scherben, zwischen ihnen aber Gold siehst, kannst du denn dann so vom Gold denken, als handele es sich um Steine oder Scherben?“

„Nein“, antwortete der Asket, „aber ich streite wider die Gedanken, so dass ich es nicht aufhebe.“

„So ist auch diese Leidenschaft noch lebendig“, sagte der Altvater. „Wenn du aber von zwei Brüdern hörst, von denen der eine dich liebt, der andere dich aber hasst, verunglimpft und schmäht, und beide kommen zu dir – kannst du sie denn gleich behandeln?“

„Nein“, antwortete der Asket, „aber ich kämpfe mit mir, dass ich den mich Hassenden genauso gut behandele wie den, der mich liebt.“

„Folglich leben die Leidenschaften auch in den Heiligen, doch werden sie von ihnen gezähmt“, schloss der Altvater.

100

Ein Bruder beschwerte sich beim Altvater:

„Abba, ich bitte die heiligen Väter oft darum, dass sie mir Unterweisung geben zur Errettung meiner Seele. Doch von dem, was sie mir dann sagen, kann ich mich an nichts erinnern.“

Der Altvater besaß zwei Krüge, und er sagte zu dem Bruder:

„Geh und nimm einen dieser Krüge, fülle ihn mit Wasser, wasche ihn und gieße das Wasser wieder aus. Den Krug aber stellst du an seinen Platz zurück, nur verkehrtherum, kopfüber.“

Der Bruder tat es so, und dann wiederholte er das auf Geheiß des Altvaters nochmals und noch ein drittes Mal.

Dann sagte der Altvater:

„Bring beide Gefäße her.“

Als der Bruder sie herangebracht hatte, fragte der Altvater:

„Welches dieser beiden Gefäße ist reiner?“

Der Bruder antwortete:

„Das, welches ich mit Wasser gefüllt und die ganze Zeit über gewaschen habe.“

„Mein Sohn, so ist es auch mit der Seele, die das Wort Gottes oft vernimmt, auch, wenn sie nichts vom Gehörten im Gedächtnis bewahrt“, sagte der Altvater. „Denn sie wird trotz alledem reiner als die, welche nie nachfragt und nicht betet.“

101

Der Kaiser wandte sich an einen Asketen:

„Bitte mich um alles, was du willst, und ich werde es dir geben!“

Der Asket sagte:

„Gib mir unsterbliches Leben, ewige Jugend, unversieglichen Reichtum und Freude, die niemals durch Not geschmälert wird.“

Der Kaiser antwortete:

„Über solche Dinge habe ich keine Macht.“

„Dann lass mich in Ruhe“, sagte der Asket. „Ich werde denjenigen darum bitten, Der dazu in der Lage ist, mir diese Dinge zu geben.“

Quelle: Отцы-пустынники. Сборник христианских притч и сказаний, Verlag Nikea

Fußnoten

  1. zit. nach Schlachter 1951 – Verm. d. Üb.