:chartophylax:

Die sich nach den Himmeln sehnen

Unveröffentlichte Kurzgeschichte von Jaroslaw Schipow aus: „Das Erste Gebet“.

Autor: Jaroslaw Schipow

22. Juli 2012

 Russland   Kurzgeschichte 
Lesezeit: ca. 5 Minuten

Ich segnete ein Flugzeug. Ein kleines, privates, das einem reichen Mann gehörte. Der Unternehmer selbst war nicht zugegen, stattdessen wurde ich von seinen Assistenten begleitet. Als ich mit allem fertig war und wieder herab auf den Beton sprang, sagte ein vorbeigehender Mann:

„Das gibt’s doch nicht!“ Er hielt an, betrachtete mich von Kopf bis Fuß und fügte hinzu:

„Es ist das erste Mal, dass wir einen Priester auf unserem Flughafen haben. Haben Sie vielleicht Lust, ein wenig zu fliegen?“

„Eigentlich“, so antwortete ich, „fliege ich ziemlich oft.“

„Als Passagier vielleicht! Ich meine aber als Pilot – Sie können sich ans Steuer setzen!“

„Meinen Sie das ernst?“

„Sicher doch. Da steht es“ – er wies auf ein ganz kleines Flugzeug – „ich muss das Ding eine halbe Stunde lang in Betrieb setzen, und zu zweit ist das lustiger.“

Ich fragte meine Begleiter, aber denen kam der Aufschub geradewegs zupass: Sie wollten noch in der Flugzeugkabine für Ordnung sorgen. Dabei schienen sie sich aber Sorgen zu machen:

„Ist das denn nicht gefährlich?“

„Ach“, sagte ich, „das wäre ein viel zu schöner Tod: Den habe ich mir sicherlich nicht verdient.“

Wir nahmen in den Sitzen Platz, das Flugzeug fing an zu knattern und setzte sich in Bewegung. Die Einweisung dauerte nicht lange: „So geht’s hoch, und so – runter“. Wir hoben ab, und der Mann brüllte: „Übernimm das Steuer!“. Ich klammerte mich an den Knüppel, da brüllte er wieder: „Entspann deine Hand, halte ihn ganz locker!“. Daraufhin lehnte er sich zurück und fing an, irgendetwas zu singen. Mitunter gestikulierte er: höher, tiefer, und ich führte es gewissenhaft aus.

Unter uns sah ich eine überfüllte Verkehrsstraße, Wohnviertel und eine Hochspannungsleitung. Ich drehte nach links. Die Kurve musste steiler geflogen werden, mein Anweiser drückte den Knüppel weiter. Jetzt war unten eine Siedlung aus Einfamilienhäusern: Ziegelsteinbauten mit Türmchen. Die nächste Drehung: verfallene Schweineställe, ein mit Buschwerk zugewachsenes Feld, dann der Wald, in dessen Tiefe ein Anwesen mit grünem Dach zu erkennen war – vermutlich handelte es sich dabei um die Datsche des Reichen. Noch einmal nach links, und ich sah wieder unseren Flughafen, der einmal ein Militärflughafen gewesen, jetzt aber ein Nutzflughafen war; dann wieder die Verkehrsstraße, wieder die Häuser … wir flogen und flogen in einer Art Quadrat. Das, was sich unter uns befand, hatte ich mir bereits eingeprägt, also schaute ich in die Ferne: Man sah Moskau, freilich ganz trüb, wie unter einem Dunstschleier.

„Wie lange kannst du noch so fliegen?“, fragte mein Anleiter.

„Solange der Treibstoff reicht“, antworte ich und dachte bei mir: Sollen meine Begleiter doch die Geduld verlieren und ohne mich abfahren, Hauptsache, ich kann fliegen, fliegen …

Er nickte im Einverständnis, winkte kurz mit der Hand, als würde er alles Irdische abschütteln wollen, und warf sich wieder zurück in die Ecke des Cockpits. Dann plötzlich befahl er:

„Zurück zum Flughafen: Der Dispatcher hat durchgegeben, es setzt eine Hundertvierundfünfziger zur Landung an.“

Es war natürlich schade, aber wir mussten den Flugbereich für das große Flugzeug frei machen. Ich suchte und fand die Landebahn.

„Richte dich aus, richte dich aus, und halte den Kurs.“

„So? Kann ich landen?“, frage ich zum Scherz, und dachte dabei: Sagt er jetzt „landen“, dann muss ich die Anweisung ja auch irgendwie ausführen.

„Du hast wohl Blut geleckt?“, erwiderte er und übernahm das Steuer. Wir landeten, fuhren an unsere Parkposition; es wurde still.

„Welches ist dein Geburtsjahr?“, fragt mich der Anweiser. Ich sagte es ihm.

„Jungspund. Ich bin anderthalb Jahre älter als du. Habe im Fernen Osten gedient, bin dann in die Reserve gegangen, nach Hause zurückgekehrt und fliege und instruiere jetzt alle, die Lust darauf haben … wann hast du denn das erste Mal ein Flugzeug gesehen?“

„Ach, da war ich noch ganz klein: Wir wohnten auf der Choroschewskoje-Chausse, am Zentralflughafen, da flogen die Flugzeuge bei Start und Landung direkt über unsere Köpfe …“

„He, ich habe auch dort gewohnt!“

Es stellte sich heraus, dass wir fast Nachbarn gewesen waren, auch wenn unsere jeweiligen Häuser und Schulen sich jeweils auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Chaussee befunden haben. Er erzählte noch, dass er durch ein Loch im Zaun auf den Zentralflughafen zu gelangen pflegte, um dort aus den Kisten, in die man abgeschriebenen und ausgedienten Bauteile von Flugzeugen entsorgte, „Dinger“ zu ergattern – Schalter, kleine Kugellager und dergleichen. Auch ich war damals regelmäßig auf Beutegang nach „Dingern“, aber ich benutzte kein Loch im Zaun, sondern ging unter der Schranke des Eingangsbereichs durch: Der Vater eines meiner Klassenkameraden war Flieger, und seine Familie wohnte in einer Baracke unweit der Flugzeugparkplätze. Ich sagte dem Wächter immer: „Zu Major Matwejew!“ – und ich wurde immer durchgelassen. Zu dieser Zeit wurde bei den Li‑2 die amerikanische Ausrüstung durch Ausrüstung aus unserer eigenen Produktion ersetzt, und es fiel allerlei Abfall an. Zu der Zeit war ich gerade sieben Jahre alt.

„Wusstest du denn gar nichts von dem Loch?“

„Nein, ich wusste nichts davon.“

„Dieses Loch nutzten die Soldaten, um sich unerlaubt von der Truppe zu entfernen … Na, du brauchtest das Loch nicht, wo doch dein Freund direkt auf dem Flughafen wohnte. Du Glückspilz …“

„Du bist es, der ein Glückspilz ist – denn du bist später selbst abgehoben, ich aber bin, wie du siehst, auf Erden verblieben.“

„Sage das nicht: Deine Sache ist auch gen Himmel gerichtet, und wer weiß, vielleicht hat die Sehnsucht nach den Himmeln damals, mit diesen Li‑2, begonnen. Hör mal, soll ich dir das Fliegen beibringen? Du bekommst eine Fluglizenz, und was die gesundheitlichen Voraussetzungen angeht, so mache dir keine Sorge – wir machen da ein medizinisches Attest für dich …“

„Das wäre natürlich gut, allein wird es mir kaum möglich sein, immer zu euch herzukommen – da braucht man ja einen halben Tag.“

Das Auto mit meinen Begleitern kam herangefahren. Ich bedankte mich bei meinem Nachbarn.

Wir verabschiedeten uns wie zwei alte Freunde.