Von den Höhen der großen Wissenschaften
Unveröffentlichte Kurzgeschichte von Jaroslaw Schipow aus: „Das Erste Gebet“.
Autor: Jaroslaw Schipow
08. Dezember 2011
Russland KurzgeschichteLesezeit: ca. 14 Minuten
Ein Gemeindemitglied – jemand aus der Zahl der Gelehrten – bemerkte einmal, dass seine intensive Arbeit vollkommen von ihm Besitz ergreift, und er nichts habe, was er bei der Beichte vorbringen könne: Er habe keine Sünden. Anfangs freute ihn diese Beobachtung sogar, aber das währte nicht lang: Der fromme Mann kam der Sache recht schnell auf die Schliche und begriff, dass der Grund für diesen Zustand durchaus nicht mit der Reinheit, sondern eher mit der Leere seiner Seele zu erklären war – seinen Worten zufolge war er „kein Mensch mehr“, sondern verwandelte sich in ein „biomechanisches Werkzeug“. Indem er diesen Umstand zurecht als schwerwiegende Sünde klassifizierte, grämte der Knecht Gottes sich seiner Vergangenheit und seiner Mitbrüder, welche noch Sklaven der Wissenschaft waren. Er sprach davon, dass es die wichtigste Aufgabe der Wissenschaft sei, dem Fortschritt zu dienen, dessen Wesen er aber nicht sehr hoch schätzte.
„Na, denn mal ernsthaft“, sagte er. „Woraus wird denn all das gemacht, was uns umgibt? Das Papier, auf dem Zeitschriften und Bücher gedruckt werden, das Glas, das man in die Fensteröffnungen der Häuser einsetzt, die Häuser selbst, der Gummi der Autoreifen, die Autos selbst, ebenso die Flugzeuge, Schiffe, Atombomben … All das entnehmen wir der Erde, und normalerweise auch unwiderruflich. Die Erde nun ist natürlich eine große Vorratskammer, aber grenzenlos ist sie nicht. Dabei ist das Wesen des Fortschritts primitiv – es ist das Streben nach Komfort auf Kosten der Reichtümer, die dem Menschen gegeben worden sind: Erdöl, Erdgas, Kohle, Holz, Metalle …“
Im Altertum sei die Erde der schönste der Planeten gewesen, jetzt hingegen sei es ein Jammer, wenn man sie aus der Luke eines Flugzeugs betrachtet, und dann noch aus dem Kosmos sei es der reinste Horror …
Aber dafür machen sich die blinden Galeerensklaven der Wissenschaft alle erdenklichen Mühen, ohne auf ihre unsterblichen Seelen Rücksicht zu nehmen:
„Nimmt sich ein Mensch in jungen Jahren eine bestimmte Aufgabe oder ein Thema vor, so kann es sein, dass er sein ganzes Leben daran herumforscht, ohne auch nur einmal sein Angesicht davon abzuwenden, womit er doch dazu in der Lage wäre, die Sache einmal mit Abstand zu betrachten. Und an Stolz, an Stolz mangelt es uns dabei nicht! Der eine dringt in die Geheimnisse des Atomkerns vor, der andere entdeckt einen bis dato unbekannten Stern, noch einer erhöht die Leistung von elektrischen Lokomotiven … Keine Zeit für Gott oder die Kirche: Wir sind es ja, die Schöpfer und Herren der Welt!.. Indes ergeben die neuesten Forschungsergebnisse genau dieser Wissenschaftler, dass die Völker, welche einen prähistorischen Lebensstil pflegen, dem Ideal des menschlichen Lebens noch am nächsten sind: Sie arbeiten vier Stunden am Tag, schlafen bis zu zehn, verspeisen ausschließlich ökologisch reine Lebensmittel, und in ihren Familien herrscht Frieden und Ordnung … Erstaunliche Schlussfolgerungen! Wohin haben wir denn all die Jahrhunderte die Menschheit gezerrt? Blinde, die Blinde führen …“
So sprach das Gemeindemitglied. Ich kann nicht beurteilen, inwieweit er damit richtig lag – die Materie, in der er sich bewegte, ist mir fremd; allerdings fanden sich in meiner Erinnerung ein paar kleine Geschichten, die mit den Höhen der wissenschaftlichen Materie zu tun haben.
Die Sache ist, dass ich in meinen Jugendtagen selbst von der Wissenschaft begeistert gewesen bin, und durch diese Begeisterung verschlug es mich an die Sibirische Physikalisch-Mathematische Schule. Bis zum Beginn der Vorlesungen war damals noch etwas Zeit, so dass ich mich zu einer Expedition anmeldete, welche die Ausbreitung von Schallwellen unter Wasser untersuchen sollte.
Ich wurde mit einem weiteren „Begeisterten“ in einem Zelt am Ufer eines Stausees untergebracht, und man forderte von uns nichts Besonderes – Brennholz beschaffen, Feuer machen, Wasser aufkochen; dann gingen wir daran zu angeln, und das war allen recht: Für uns bedeutete es Zeitvertreib, für die Gesellschaft gab es Proviant. Ab und an fuhren wir auch noch in den Akademgorodok1 – einmal brachten wir irgendwelche Gerätschaften hin, ein andermal schafften wir irgendwelche Gerätschaften heran.
Einmal zeigte man uns im Hof der Universität die „legendäre“ Hydro-Kanone, die überhaupt keine Ähnlichkeit mit einer Artilleriewaffe hatte: Es war ein Wassertank, der von allen Seiten mit Drucklufttanks bestückt war. Die sperrige Konstruktion bewegte sich auf eigens dafür verlegten Schienen, schoss einen Liter Wasser und zerschlug damit Steine. Das war ein beeindruckender Anblick, und die Wissenschaftler haderten darüber, dass niemand diese Erfindung ihrer Bedeutung nach zu würdigen wusste.
Man hatte sie den Schachtarbeitern angeboten, diese aber lehnten ab: Sie sei zu schwer und ungelenk, es sei unpraktisch, sie auf hundert Atmosphären aufzupumpen, zumal es von diesen Schüssen zu fatalen Erschütterungen kommen könnte. Und alle wunderten sich über die Ignoranz der Schachtarbeiter.
Daraufhin begaben sich die Herren Doktoren und Akademiker fort, und uns wurde langweilig; wir fanden ein Brecheisen und versuchten aus lauter Langeweile, einen Stein damit zu zerschlagen. Steine lagen viele auf dem Hof herum. Wir waren durchaus keine Athleten, aber mithilfe des Brecheisens ging der Stein sehr leicht zu Bruch. Dann ein weiterer, und ein dritter … Und dann kehrten die Doktoren und Akademiker zurück und warfen uns „Verbrechen gegen die Wissenschaft“ vor, da die Steine speziell für die Hydro-Kanone vorbereitet gewesen waren. Man drohte uns, uns für vierundzwanzig Stunden aus der Expedition auszuschließen und wegzuschicken, aber wir zeigten von ganzem Herzen Reue, so dass die Leitung der Expedition ein Erbarmen hatte.
Als wir später zusammen mit den neuen Oszillographen auf der Pritsche eines Lastkraftwagens mitfuhren, sagte mein Freund:
„Dass wir die vorbereiteten Steine, ohne um Erlaubnis zu fragen, kaputtgemacht haben, ist natürlich nicht gut, das sehe ich ein. Eines verstehe ich aber nicht – wozu sollte diese Kanone gut sein?“
Auch mir schien es auf einmal, dass die Schachtarbeiter recht hatten.
Am andern Tag kam eine Eisenbahnschwelle angeschwommen. Wir zerrten sie ans Ufer, um sie zu einer Sitzbank umzufunktionieren, fanden dann aber eine ganz andere, unerwartete Verwendung dafür.
Das Ufer, an dem unsere Expedition kampierte, war ein Steilufer – zehn bis zwölf Meter hoch, und oben, am Steilhang entlang, gab es eine Menge an tiefen Erdspalten. Wir gingen folglich daran, die Schwelle in diese hineinzustoßen, sie hin- und herzubewegen, so dass es dadurch schließlich zu Abbrüchen des hohen Ufers kam: Es gab dabei jeweils ein Gepolter, wie bei einer Explosion, und das Wasser spritzte hoch bis zu unseren Füßen. Es war ein regnerischer Tag, Experimente wurden nicht durchgeführt, so konnten wir mit unserer Schwelle zugange sein, solange unsere Kräfte es gestatteten. Alsbald aber besuchte uns eine ganze Delegation: Uns unbekannte Onkelchen liefen am Steilufer auf und ab, betrachteten eingehend irgendwelche Dinge und diskutierten. Der Vorsitzende erklärte:
„Das sind Hydrologen. Sie sagen, in den letzten Tagen hat es hier unnormale Abbrüche gegeben …“
„Wollen wir es zugeben?“, schlug ich meinem Freund vor.
„Das sollten wir natürlich, aber man wird uns für einen Tag ausschließen … Es macht doch nichts, wenn die Wahrheit der Wissenschaft ein wenig leidet!..“
Wir einigten uns darauf, dass wenn auch die Wahrheit der Wissenschaft leidet, so doch nur ein wenig – maximal für zweihundert Meter Uferlinie.
„Wäre die Schwelle etwas leichter, so hätten wir in dieser Wissensbranche vermutlich einen Durchbruch erzielt“, seufzte mein Freund.
Unsere „vierundzwanzig Stunden“ haben wir von den Hydrologen aber dann doch noch bekommen. Allerdings nicht für unsere grob fahrlässige Einmischung in die natürlichen Prozesse, sondern für grausamen Umgang mit Tieren.
Die Basis der Hydrologen war recht nahe gelegen, und wir freundeten uns mit dem Wächter der Basis an. Wir besuchten ihn öfters, um uns von ihm allerlei Geschichten von der Front anzuhören, die er gern erzählte. Der Wächter besorgte den Haushalt der Basis: Er schleppte Wasser, spaltete Holz, bereitete das Mittagessen zu, wusch, kehrte, fütterte die Hühner und Kaninchen. Dabei arbeitete er mit nur einer, seiner linken, Hand – die rechte Hand hatte er auf einem Schlachtfeld im Ausland verloren. Er arbeitete dabei aber behände und überaus geschickt – man hatte seine Freude daran, ihm dabei zuzuschauen. Am meisten begeisterte uns aber, dass er Motorrad fuhr. Und nicht nur fuhr – er raste. Und dieses Motorrad war es auch, das uns direkt in unsere nächste große Not brachte.
Einmal machten wir uns zu einem weiteren Besuch auf, kamen an – doch niemand war da, nicht einmal der Wächter; wir warteten und warteten, saßen vor dem Tor – keiner kam vorbei. Also liefen wir um das Haus herum und sahen dort das Motorrad stehen … Alles Weitere ergab sich irgendwie von selbst: Wir drehten ein wenig am Gashahn, setzten uns in den Sattel, versuchten, die Maschine zu starten – es funktionierte nicht. Lass uns doch, so dachten wir uns, hangabwärts rollen – so würde das Motorrad anspringen, wir fahren ein wenig herum, kehren zurück und stellen es an seinem Platz ab. Mein Kumpel setzte sich an den Lenker, ich schob ihn an, und als die Fuhre rollte, sprang ich hinten auf. So rasten wir also den Pfad entlang bergab: Das Motorrad sprang aber weder im Hof, noch danach im Wald an, sondern es rollte und sprang einfach nur über die Bodenwellen, dass wir uns kaum darauf halten konnten. So rasten wir auf eine Waldlichtung hinaus und sahen plötzlich einen Ziegenbock vor uns. Der war an einen Pflock angebunden, kaute gemächlich sein Gras und starrte uns dabei an. Ich fing an zu brüllen:
„Bremse!“
Es ließ sich nicht bremsen … Weder sprang das Motorrad an, noch bremste es: Wir flogen direkt auf den Ziegenbock zu – der hörte inzwischen zu kauen auf, neigte seinen Kopf – bewegte sich aber nicht von der Stelle. Der Fahrer schrie:
„Spring!“
Uns ging es wohl wie Piloten in einem abstürzenden Flugzeug – wir konnten nicht von unserem Vehikel lassen:
„Spring doch selber!“
Wir schafften es nicht: Wir rammten den Ziegenbock und flogen in verschiedenen Richtungen vom Motorrad. Ich öffnete die Augen: Er stand direkt über mir und kaute weiter. Na gut, dachte ich bei mir; wenigstens haben wir das Tier nicht ins Verderben gestürzt.
Das Tier haben wir zwar nicht ins Verderben gestürzt, aber ein Kotflügel des Motorrads war verbeult. Kurz, man schimpfte wieder mit uns – natürlich nicht der Wächter, sondern dessen Vorgesetzte: Auch der Ziegenbock war, wie sich herausstellte, ein „hydrologischer“; sie hatten eine kleine Herde Ziegen – für die Milch – und diesen Ziegenbock. Er weidete abgesondert von den Ziegen. Es kam wieder zu den „vierundzwanzig Stunden“, und wieder für dieselbe Sache – ohne zu fragen, und aus lauter Langeweile.
Am kommenden Tag gingen wir zu den Hydrologen, um uns Vergebung zu erbitten; sie aber hatten keine Zeit für uns: Sie hatten gerade das Recht bekommen, eine größere Barke zu fahren und feierten mit der übrigen Flussexpedition dieses Ereignis. Im Hof stand eine extrem lange – um die zwanzig Meter – Tafel, an der eine Menge von Leuten saß. Wir versuchten es erst an einem Ende, und bekamen keine Antwort. Am andern Ende – genau das gleiche Resultat. Selbst der Wächter war in einem derart entrückten Zustand, dass er nichts von dem verstand, was wir bei ihm vorbrachten. Und überhaupt glitt er gleich darauf von der Bank hinunter und schlief direkt auf dem Gras ein.
Plötzlich machte sich irgendein Naturschützer und vermutlich künftiger Dissident daran, die Käfige zu öffnen:
„Freiheit über alles!“
Die Kaninchen liefen hinaus in den Hof.
„Hasen! Hasen!“, brüllten ein paar Leute, und es begann eine wüste Schießerei aus Signalpistolen.
Die Tiere hatten auch diesmal Glück, das Haus aber geriet in Brand. Mein Freund und ich machten uns zu zweit daran, das sich ausbreitende Feuer zu löschen; die übrigen Leute waren außerstande, uns zu helfen.
Wir kehrten trübselig zurück: Die vierundzwanzig Stunden waren abgelaufen, es war uns dabei aber nicht gelungen, um Entschuldigung zu bitten. Es verging auch der nächste Tag, und noch ein weiterer, da kamen endlich die Vorgesetzten aus dem Akademgorodok, flüsterten mit unseren Doktoren und Akademikern herum und riefen uns zu sich heran. Das wird es wohl mit unserem Exkurs in die Welt der großen Wissenschaft gewesen sein, dachten wir bei uns. Aber es war ganz anders:
„Ihr fahrt doch immer zum Angeln“, sagten sie, „und kennt hier die ganzen Buchten.“
Wir waren völlig perplex, denn unsere Angelei war in keiner Weise mit dem hydrologischen Ziegenbock unter einen Hut zu bringen. Es stellte sich aber heraus, dass es niemandem um uns ging, denn die Hydrologen und die Leute von der Flussexpedition waren verschollen; sie waren mit ihrer Barke losgefahren, und seitdem hatte niemand mehr etwas von ihnen gehört …
Die verschwundene Expedition konnten wir ausfindig machen: der Treibstoff war ausgegangen, dabei hatten sie aber noch einen stattlichen Vorrat an Getränken und Lebensmitteln, so dass von einer Rückkehr keine Rede sein konnte. Als wir sie fanden, sangen sie allerlei Seemannslieder, während der Tierschützer und vermutlich künftige Dissident behauptete, er habe das Zeug zum Fliegenden Holländer.
Seitdem drohte uns niemand mehr, uns von der Expedition auszuschließen, aber andererseits fragten auch wir jetzt lieber nach dem Segen der Expeditionsleiter und taten aus lauter Langeweile eben lieber gar nichts – und das ist wahrhaftig eine bedeutende Wissenschaft. Indessen nahte ein Ereignis, von dem die Doktoren und Akademiker als dem wichtigsten Ziel ihres Lebens sprachen: Uns stand es bevor, mit einer Gruppe von „legendären“ Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten.
Es liefen die Vorbereitungen für ein wahrhaft grandioses Experiment, und alle wichtigen Ressourcen wurden dafür zusammengezogen: Mein Freund und ich, der einhändige Wächter mit einem Doktor der Hydrologie – dieser Doktor war im Besitz eines Bootsscheins, aber die Barke steuerte aus irgendeinem Grunde trotzdem der einhändige Wächter, der über keinerlei Schein verfügte. Wir begaben uns auf eine kleine Insel, die inmitten des Stausees aus dem Wasser ragte, gruben zwei Löcher des nötigen Durchmessers und der nötigen Tiefe, einen Graben, bauten die Zelte auf, machten Feuer und gingen ans Abendessen.
Der Doktor berichtete uns von seiner neuesten Erfindung:
„Man nimmt eine Luftmatratze, befestigt eine Bambusangel anstelle eines Masts darauf, und macht sich aus Bettbezügen ein Segel … Ich habe alles ausgemessen und durchgerechnet, die Zeichnungen sind alle fertig: Das ist die billigste Yacht der Welt!“
„Und wie soll man sie steuern?“, fragte der Wächter nach.
„Na, mit den Händen! Man liegt ja drauf – so braucht man lediglich seine Hände ins Wasser zu tauchen und kann die Fahrt so abbremsen. Wenn man lang genug ist, kann man die Yacht auch mit den Füßen steuern …“
„Und für welche Nutzlast ist diese Yacht ausgelegt?“
„Bis zu dreißig Kilogramm.“
„Aber das ist doch … ein Kindergewicht.“
„Eben! Alles Beste für unsere Kinder: Jedes Kind soll eine Yacht bekommen!“
„Hast du selbst eigentlich Kinder?“
„Bis jetzt noch nicht, wieso fragst du?“
„Ich frage, weil keine zurechnungsfähigen Eltern ihr Kind auf so einer Ballonspritze ins offene Meer hinausschicken werden.“
„Du verstehst nichts von der Wissenschaft.“
„In der Tat“, war der Wächter bereitwillig einverstanden. „Deswegen lasst uns etwas essen.“
Am Morgen kam der „legendäre“ Kutter mit einer großen Menge an Artilleriesprengstoff und der Gruppe aus „legendären“ Wissenschaftlern an die Insel heran, und es begann die geschäftige Vorbereitung des Experiments: Es ging darum, einen Brand zu löschen, indem man die Flamme mit einer Staubwolke zum Erdboden niederdrückt. Erst schleppten wir Kisten mit dem Sprengstoff, der aussah wie Makkaroni. Damit wurde eine ganze kleine Lichtung bedeckt, und an der Windseite platzierte man ein paar Säcke mit Zement, an diesen Säcken wiederum eine Ladung TNT und einen Detonator … Wir suchten im Graben Deckung, zündeten die Zündschnur an, hielten eine brennende Fackel hoch – der Sprengstoff loderte empor, die Flamme schoss in den Himmel und löste sich auf … Und da ertönte die Detonation: Der Zementstaub bedeckte die gerade abglühenden „Makkaroni“ …
Es wurde eine zweite Lichtung zurechtgemacht: Die hier verwendete Art Sprengstoff sah aus wie Knäuel aus grünblauer Angelschnur und nannte sich „Haarsprengstoff“. Man zündete, es detonierte … Aber entweder hatte der Wind gedreht, oder etwas anderes kam nicht zupass, jedenfalls rieselte der gesamte Zementstaub auf unsere Köpfe herab. Die verstaubten Koryphäen besprachen die möglichen Gründe für solch verheerenden Misserfolge, mein Freund und ich gingen unterdessen baden: Das Ereignis konnte nach keinem vernünftigen Maßstab als das Wichtigste in unserem Leben gelten.
Auf dem Rückweg beschloss man, in unserem Lager vorbeizusehen. Der „legendäre“ Kutter fuhr vorneweg.
„Ich mag es nicht, hintendrein zu fahren“, murrte der Wächter. „Wenn man in einer Autokolonne als letzter fährt, scheint es einem mitunter, als müsse man schneller fahren als alle anderen.“
Einer der daneben stehenden Doktoren machte kleine Augen, schlug seine Stirn in Falten und sagte:
„Das ist ja eigentlich auch richtig: Der Letzte fährt immer am schnellsten …“
„Das ist nur so ein Gefühl“, bemerkte der Wächter.
„Nein: Der Letzte fährt tatsächlich schneller, denn er ist genötigt, Beschleunigungen vorzunehmen, die abhängen von …“
Da hielt es mein Freund nicht aus:
„Wenn zwei Autos hintereinander von Punkt A abfahren und in genau der gleichen Reihenfolge in Punkt B eintreffen, dann soll die Geschwindigkeit des zweiten Autos größer gewesen sein?“
„Das versteht sich von selbst!“, verkündete der Doktor und wunderte sich aufrichtig über unser Unverständnis.
Mir wurde nun klar, dass ich derartige Höhen nie erklimmen könnte, und fortan kam die Fülle der Naturwissenschaften ohne mein Zutun aus.
Das weitere Schicksal meines Freundes von damals ist mir nicht bekannt. Die Expedition, im Verlaufe derer mein Freund und ich uns aufgrund der Güte unserer Vorgesetzten kaum jemals anstrengen mussten, wurde mit der größtmöglichen Prämie unseres Vaterlandes geehrt, wozu mir auch einer der Doktoren – und jetzt Preisträger – per Telefon gratulierte. Was soll man groß erzählen – es waren wunderbare Zeiten, und auch die Menschen waren wunderbar …
Was nun die Erörterungen des Mannes aus meiner Gemeinde angeht: Ja, Wissenschaftler kommen widerwillig und nur schwer zum Glauben. Aber auch sie schaffen es!..
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Akademgorodok, wörtlich „akademisches Städtchen“, nennt man die Stadtteile von Städten oder Satellitenstädte, die ein entsprechendes Profil in Einrichtungen und Infrastruktur besaßen. - Verm. d. Ü. ↩