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Der Kriegermönch Pereswet und die Magie der Horde

Wen hat der Kriegermönch Pereswet bei der Schlacht auf dem Schnepfenfeld im Jahr 1380 tatsächlich im Duell besiegt?

Autor: Mitrofan (Badanin)

09. Juli 2023

 Russland   Kirche   orthodox 
Lesezeit: ca. 6 Minuten

Die Geißel macht Striemen; aber die Zunge zerschmettert die Knochen. Viele sind gefallen durch die Schärfe des Schwerts, aber nirgends so viele wie durch die Zunge. (Sir. 28, 21f)

Die Kraft des Geistes besitzt natürlich auch eine materielle Dimension. Es ist kein Geheimnis, dass einem Krieger in der Schlacht mitunter auch auf übernatürliche Weise, von außerhalb seines eigenen Vermögens Beistand geleistet wird. Derzeit erlebt das Neuheidentum unter jungen Menschen, die ihren Dienst in der Armee und in der Flotte, besonders aber in den Sondereinheiten leisten, einen neuen Aufschwung. Hinter dem Bestreben, sich der geistlichen Praxis der östlichen Kampftechniken oder auch der slawischen magischen Kriegerrituale zuzuwenden, steht allerdings der Versuch, zu den finsteren Mächten aus der Vergangenheit zurückzukehren, zu den längst überwundenen und durch das Christentum ausgetriebenen sogenannten Göttern, „die von Natur nicht Götter sind“ (Gal 4:8).

Die östlichen Kampfkünste besitzen eine eigene und strenge geistliche Praxis: Mantras, Gebete, Atemtechniken und sonstige Formen der „Arbeit mit den Energien“, was übersetzt in eine christliche Begrifflichkeit „Anrufung gefallener Geister“, oder einfacher: „von Dämonen“ bedeutet.

Das erstrebte Ziel eines jeden Adepten dieses Systems ist es, sich einen Engel der Finsternis dienstbar zu machen, möglichst einen aus den höheren Rängen. Die Frage nach dem „Rang“ allerdings, oder nach dem Erreichen höherer Ebenen der „Initiation“, hat direkt mit der erreichten Stufe des Kontakts, oder damit, wie sehr man sich der Macht dieser Kräfte anvertraut, zu tun. Die Symbiose zwischen Mensch und Dämon ist es auch, die genau jene erstaunlichen übernatürlichen körperlichen Fähigkeiten hervorbringt, von denen sich die im Glauben noch nicht festen jungen Leute so begeistert zeigen. Als Beispiel könnte man die Erinnerungen über den berühmten Bruce Lee1 anführen, der seinen „Schatten“ und „Helfer“ recht gut kannte und ihn mehrfach gesehen haben soll, bevor er ein schlimmes Ende fand.

Vor kurzem habe ich bei einer Vorsprache bei seiner Heiligkeit, dem Patriarchen, ein Gemälde entdeckt, das in seinem Empfangszimmer hängt. Es war das Original von Pawel Ryschenkos „Der Sieg des Pereswet“. Auf diesem Gemälde ist das berühmte Duell zwischen dem unbesiegbaren mongolischen Recken Tschelubej2 und unserem Alexander Pereswet – einem Mönch, der auf besonderen Segen des heiligen Sergius von Radonesch gemeinsam mit seinem Bruder Andrej Osljabija in die Schlacht auf dem Schnepfenfeld eingetreten ist – dargestellt.

Die große Weisheit und Hellsicht des wunderbaren russischen Heiligen, des heiligen Sergius von Radonesch, offenbarte sich im Wesen dieses Duells. Denn es handelte sich um nichts anderes als einen Kampf zwischen Licht und Finsternis. Und das ist durchaus kein bildlicher Ausdruck, sondern das tatsächliche Wesen dessen, was sich am 8. September 1380 zugetragen hat.

Als wir vor diesem Gemälde standen, erzählte uns einer der Äbte des Dreifaltigkeits-Sergius-Klosters die folgende Begebenheit. In der Lawra gibt es einen Mönch, der sich in den Zeiten seiner Jugend, wie viele damals, begeistert mit den östlichen geistlichen Traditionen und Kampfpraktiken beschäftigte. Als die Perestrojka begann, beschloss er, mit seinen Freunden nach Tibet zu reisen, um dort irgendeinem buddhistischen Kloster beizutreten. Seit 1984, als sich die Klöster in Tibet für Besucher öffneten – freilich in sehr begrenzter Zahl – kamen eine Menge an Ausländern dahin. Um es direkt zu sagen: Das Verhältnis der Klöster zu Fremden war miserabel. Die dort gelebten geistlichen Traditionen gehören ja zum kulturellen Kern der Tibeter und sind aus ihrer Sicht nicht für Fremdlinge bestimmt. Unser zukünftiger Mönch und seine Freunde waren enttäuscht: So sehr strebten sie damals zu dieser erhabenen Lehre, zu dieser Bruderschaft, zu Askese, Mantras und Gebeten… Ein solches Verhältnis ihnen gegenüber hielt an, bis die tibetischen Mönche erfuhren, dass sie Russen vor sich hatten. Sie tauschten sich untereinander aus, und in dem Gespräch der tibetischen Mönche meinten unsere Freunde, das Wort „Pereswet“ auszumachen. Sie erkundigten sich später danach, und es stellte sich heraus, dass der Name dieses russischen Mönchs in einem der heiligen Bücher der Tibeter, einer Art geistlicher Chronik, vermerkt ist, in das herausragende spirituelle Ereignisse eingetragen werden. Der Sieg des Pereswet steht dort in der Kategorie besonderer Ereignisse, die aus der üblichen Reihe fielen. Kern der Sache ist, dass Tschelubej nicht einfach nur ein erfahrener Krieger und Recke war, sondern ein tibetischer Mönch, der nicht nur im System der tibetischen Kampfkunst ausgebildet war, sondern sich außerdem noch die antike Praxis der Kampfmagie – das Bon-Po – angeeignet hatte. Im Verlauf seiner Exerzitien erreichte er die Höhen dieser Initiation und führte den Status eines „Unsterblichen“.

Ein solcher Kriegermönch galt als praktisch unbesiegbar. Es gab zu allen Zeiten nur sehr wenige solcher von den Geistern auserwählter tibetischer Krieger, sie galten in der geistlichen Praxis Tibets als herausragende Erscheinung. Das wird auch der Grund dafür gewesen sein, aus dem man den Tschelubej im Duell gegen Pereswet antreten ließ – um noch vor Beginn der eigentlichen Schlacht den Geist der Russen zu brechen.

Auf dem bekannten Gemälde von W. M. Wasnezow werden beide Krieger in einer Rüstung dargestellt, was den geistlichen Gehalt der Geschehnisse verzerrt. Pawel Ryschenko hat den Sachverhalt besser getroffen: Pereswet ging ohne Rüstung, in den Roben eines russischen Mönchs des großen Schemas und mit einer Lanze in der Hand in dieses Duell. Daher wurde er selbst durch Tschelubej auch schwer verletzt. Aber den „Unsterblichen“ hat er getötet. Das führte im Heer der Tataren zu Bestürzung: Vor ihren Augen ereignete sich etwas, was aus ihrer Sicht prinzipiell unmöglich war. Der für sie gewöhnliche Lauf der Dinge stockte, und die Grundfesten der heidnischen Welt gerieten ins Wanken.

Die Diener der Finsternis, die Meister der östlichen Kampfkünste, bewahren bis zum heutigen Tag die Erinnerung daran, dass es gewisse „Russen“ gibt, die ihren Gott haben, dessen Kraft unüberwindbar ist. Und dieser russische Gott steht höher als ihre Götter, und die Krieger dieses Gottes sind unbesiegbar.

Noch in den ersten christlichen Jahrhunderten hatte der heidnische römische Kaiser Konstantin der Große vor einer entscheidenden Schlacht einen Traum: Er sah darin das Kreuz und die Worte: „In diesem Zeichen wirst du siegen“. Er schenkte dem Traumgesicht Glauben, ließ das Kreuzeszeichen auf seinen Bannern platzieren und siegte. Dieser heidnische Herrscher hat damals gelernt, dass es in der Welt mehr gibt als magische Rituale und „tantrische Praktiken“. Es gibt unseren Herrn, der über allen Welten und über allen „Göttern“ ist. Wenn wir Ihm wirklich treu sind, dann sind wir unbesiegbar.

Quelle: aus Mitrofan (Badanin), „Der Sieg des Pereswet“ (Pobeda Peresweta) (gekürzt), aus: „Die Wahrheit über die russische Fluchsprache“ (Pravda o russkom mate), Bibliopolis, St.-Petersburg 2014, S. 28-31.


  1. s. z.B. Bruce Thomas, „Bruce Lee: Fighting Spirit“, Kap. 5. Der Autor widerspricht zwar einem „dämonischen“ Charakter dieses Schattens, bestätigt aber den Fakt als solches und gibt ihm eine sinnbildliche Deutung (die „Schattenseite“ von Bruce Lees Persönlichkeit usw.) – Verm. d. Ü. 

  2. Je nach Quelle auch Tscheli-Bei, Temir-Mursa usw. - Verm. d. Ü.