:chartophylax:

Wohin Sinnsuche führen muss

Warum eine Ideologie nicht die Tiefen des Menschen zu berühren vermag.

Autor: Alexander Chodakowski

09. Juli 2023

 Russland   Gesellschaft   Kirche 
Lesezeit: ca. 2 Minuten

Für mich hat die Orthodoxie enge Verbindung mit der Staatlichkeit. Nicht, weil die Religion den Mächtigen dabei dienlich war, die Massen gefügig zu halten, wie uns das die sowjetische Propaganda erzählt hat, sondern weil der Sammlungsprozess einer Vielzahl von vereinzelten Gebilden zu Russland immer unter der Ägide der Kirche vonstattenging. Erst wurde die Kiewer Rus aus einem Flickenteppich diverser Wjatitsche und Dregowitsche zeitgleich mit der Errichtung des Glaubens an die Allheilige Dreifaltigkeit aufgebaut, des Glaubens, bei dem es ja heißt „Drei, aber Eins“, und später, im schweren Zeitalter des Jochs und der feudalen Zersplitterung blieb einzig der Glaube der gemeinsame Nenner sowohl der Moskowiter, als auch der Nowgoroder, Rjasaner und Twerer, die sich gar nicht als ein und dasselbe Volk wahrnahmen: Fürsten gab es verschiedene, aber nur einen Metropoliten. Dann, in der Zeit der Wirren, war es die Kirche, die zur Einigung aufrief und dazu, die fremdländischen Besatzer zu vertreiben, und aufrichtig gläubige Menschen erhörten diesen Ruf und lehrten die damaligen Eliten die wahren Werte …

Und andersherum ebenso: Der Verfall des Glaubens führte zum Verfall des Staates, und der Zusammenbruch des Staates ging mit den Losungen der Gottlosigkeit einher. Stalins Hinwendung zum Glauben, seine vage Erkenntnis dessen, dass der Glaube eine enorm große Bedeutung für die Existenz Russlands hat, erfolgte in der für unsere Heimat wohl schwersten Stunde. Der Narr Nikita erklärte wiederum die Jagd auf die Popen und die Verfolgung des Glaubens – somit war der Zerfallsprozess der UdSSR eingeleitet, denn die ausgebrannte Ideologie erwärmte die Herzen der Menschen nicht mehr.

Heute befinden wir uns wieder auf Sinnsuche, während wir vergessen zu haben scheinen, dass bereits seit Jahrtausenden über jedem möglichen Sinn der Glaube steht. Er ist sowohl Sinn als auch Orientierung. Der Glaube ist lebendig, der Glaube ist fordernd, der Glaube ist nüchtern – der Glaube steht außerhalb der Zeit. Der Glaube ist mit dem wichtigsten Moment des Lebens verbunden – mit dem Tod. Unsere Geburt haben wir nicht vorausgesehen, die Geburt selbst haben wir nicht bewusst wahrgenommen, doch vom Tod wissen wir und sein Nahen erwarten wir. Daher kann keinerlei Ideologie eine solche Tiefe im menschlichen Bewusstsein erreichen wie der Glaube, der in den allertiefsten Tiefen des Menschen wirkt.


Quelle: https://t.me/aleksandr_skif/2778