Es braucht die Ukraine zum Schlag gegen Russland
Seit dem 19. Jahrhundert ist es Ziel der psychohistorischen Operationen des Westens, russophobe Slawen als psychokulturellen Typus zu schaffen; ihre Aufgabe ist es, die Ukraine zu einer „antirussischen Rus“ zu machen.
Autor: Andrej Fursow
01. März 2014
Gesellschaft Welt KriseLesezeit: ca. 29 Minuten
„Vsgljad“ (VZ.ru) führt ein Interview mit Andrej Fursow über die Vorgänge in der Ukraine, über die wichtigsten geopolitischen Herausforderungen für Russland und über das derzeitige Kräfteverhältnis auf dem „globalen Schachbrett“
Ukraine
Andrej Iljitsch, würden Sie sich damit einverstanden erklären, dass die „Februarrevolution“ in der Ukraine nicht nur vom Verzicht Kiews auf die Euro-Integration hervorgerufen wurde, sondern auch damit zusammenhängt, dass der Westen im Jahr 2013 eine empfindliche geopolitische Niederlage in Syrien einstecken musste?
Im vergangenen Jahr ist es dem Westen in beiden Fällen nicht gelungen, die Ergebnisse zu erreichen, die er sich zum Ziel gesetzt hatte – nämlich die Regierung Assad zu stürzen und in der Ukraine pro-westliche Kräfte an die Macht zu bringen, um damit die Ukraine endgültig Russland zu entreißen. Während es aber nun in der Syrien-Frage Differenzen innerhalb der kapitalistischen Welt-Führungsschicht gab – es gab eine einflussreiche Gruppierung, die eine Eskalation des Konflikts in Syrien und einen daraus erwachsenden regionalen Krieg nicht wünschte – so trat der Westen in der ukrainischen Frage geschlossen auf. Dabei ist vollkommen klar, dass die Ukraine rein wirtschaftlich keinerlei Interesse für die nordatlantischen Eliten darstellt – es geht darum, die Ukraine im geopolitischen Sinne Russland zu entreißen und sie zu einem Aufmarschgebiet gegen Russland zu machen.
Der Westen braucht die Ukraine einzig als geopolitisches Aufmarschgebiet gegen Russland
In der jetzigen Situation mit der Ukraine haben die USA und die Europäische Union deutlich und ohne Scham sowohl Heuchelei, als auch Doppelstandards und Russophobie demonstriert. Nur mit letzterer kann man ihr mehr als nur „tolerantes“ Verhältnis zu den ukrainischen Nazis erklären, die zu SS-Marschmusik durch die Straßen Kiews marschierten. Die Logik dahinter ist simpel: Wenn die Nazis in der Ukraine (genau wie die im Baltikum) gegen Russland sind, dann lässt man sie gewähren. Daran müssen sich die Amerikaner nun nicht erst noch gewöhnen: in den Jahren 1945-1946 haben sie unter aktiver Mitwirkung des russophoben Vatikan alles unternommen, um hochrangige Nazis (darunter auch offenkundige Kriegsverbrecher) dem Schlag zu entziehen und sie in die USA oder nach Lateinamerika zu verfrachten, um sie dann gegen die UdSSR einzusetzen. Die ukrainischen Ereignisse sind eine anschauliche Demonstration dessen, mit wem wir es hier zu tun haben.
Schließlich ist es der Opposition im Februar gelungen, Janukowitsch zu stürzen – und der Westen war der Ansicht, dass er sein Ziel erreicht hat…
Ja, und die Lage in der Ukraine hat sich radikal gewandelt: In Kiew kam es zwischen dem 19. und dem 21. Februar zu einem Bandera-Neonazi-Putsch, der vom kollektiven Westen inspiriert worden ist, vor allem von den USA. Die USA waren es, die sich die Dummheit und die Gier Janukowitschs und seiner Umgebung zu Nutze zu machen wussten, die Lage kippen und den von der ukrainischen Führung veranlassten Anti-Terror-Einsatz im Keim ersticken ließen. Hätte dieser erst richtig begonnen, so wäre es mit dem Maidan bald vorbei gewesen – er war ohnehin auf dem Rückzug. Aber es kam eben, wie es gekommen ist. Hier schlugen die langen Jahre der Wühlarbeit US-amerikanischer Geheimdienste in der ukrainischen Führungsschicht zu Buche, welche ihre Vermögen in US-amerikanischen Banken deponiert haben; ebenso die Arbeit mit dem SBU und dem Bandera-Untergrund, den man aktivierte, nachdem man ihn in weiten Teilen überhaupt erst neu schuf.
Es ist bezeichnend, dass in den entscheidenden zwei Tagen der US-Botschafter als Sprecher der Rada fungierte und aus dieser Position der „unabhängigen“ Ukraine gewisse Bedingungen diktierte. Von welcher Unabhängigkeit kann indes die Rede sein? Der Quasi-Staat Ukraine war auch ohnedies zu weiten Teilen von auswärtigen Kräften gesteuert, was in dieser Situation ganz offen, zynisch und frech ans Tageslicht trat. Alle bekamen zu sehen, wer der Herr im Hause ist, wer die Ereignisse in der Rada und auf dem Maidan bestimmt, und wessen böser Wille die hirnverbrannten Neonazis dirigiert. Der US-amerikanische Bandera-Putsch vom Februar ist geeignet, die geopolitische Lage in Osteuropa, Eurasien und weltweit nachhaltig zu verändern.
Der Westen hat die natürliche Unzufriedenheit der Menschen mit dem mafiös-oligarchischen Janukowitsch-Clan zum Erreichen seiner eigenen Ziele ausgenutzt
Der Westen und die prowestlichen Kräfte in der Ukraine haben die natürliche Unzufriedenheit der Menschen – vor allem derer in Kiew – mit dem mafiös-oligarchischen Janukowitsch-Clan zu ihren eigenen, der Ukraine selbst vollkommen fremden Zielen genutzt; wenn es ihnen nun gelingt, ihr Ansinnen umzusetzen, dann kann man davon ausgehen, dass sie ihr Ziel, das sie mehr als zwei Jahrzehnte anstrebten, erreicht haben. Der Krieg ist ja bereits auf dem Boden des historischen Russland angekommen, erstmals nach dem Überfall durch die Nazis. In der Perspektive haben wir nicht nur eine sich selbst erhaltende Instabilität vom jugoslawischen Typ an den Grenzen der Russischen Föderation, sondern die Verwandlung der Ukraine in einen antirussischen slawischen Staat, der (in Allianz mit Polen) Russland entgegensteht. Der Versuch, einen solchen Staat mit den Händen der Macher der „Orangefarbenen Revolution“, der US-amerikanischen Satrapen Juschtschenko und Timoschenko zu schaffen, war gescheitert. Der Großteil des Volkes leistete einem solchen Kurs Widerstand, die Wahl Janukowitschs nun beschleunigte die Entfremdung der Ukraine von Russland nicht, wie es in diesem alten Projekt des Westens, erstmals formuliert von den Deutschen und später von den Amerikanern geerbt, vorgesehen ist.
Bei uns zitiert man gern Brzezinski mit seiner Aussage, dass Russland ohne einen Anschluss der Ukraine keine Chance habe, eine Großmacht zu werden. „Long Zbig“ irrt aber: Russland kann diesen Status auch ohne die Ukraine wiedererlangen, nur wäre das schwieriger und würde längere Zeit in Anspruch nehmen. Dahingegen ist die Ukraine ohne Russland nichts als eine Ruine, ein verwahrloster, abgelegener Hinterhof Europas. Das weit wichtigere aber ist, dass Brzezinski damit nicht originell ist. Er wiederholt damit die Aussage des deutschen Generals [sic] Paul Rohrbach, welcher Anfang des 20. Jahrhunderts meinte: Um eine russische Gefahr für Europa – vor allem für Deutschland – abzuwenden, ist es notwendig, „das ukrainische Russland vom Moskowiter Russland“ zu trennen. Bezeichnend, dass für den General sowohl die Ukraine als auch Moskowien Russland sind, und er spricht hier von einer innerrussischen Krise, einer innerrussischen Spaltung. In gewisser Weise führt er die Ideen deutscher Politiker des späten 19. Jahrhunderts fort, insbesondere die Bismarcks, in denen nicht nur die Notwendigkeit einer solchen Spaltung anerkannt, sondern auch konkrete Mittel, diese zu erreichen, diskutiert wurden.
Darunter ging es eben um die Notwendigkeit, die Ukraine Russland entgegenzustellen, die Völker gegeneinander aufzuhetzen, wozu es nötig wäre, inmitten der russischen Ukrainer selbst Leute mit einem derart veränderten Bewusstsein zu erziehen, dass diese alles russische zu hassen beginnen. Es ging also um eine gewisse psychohistorische Operation, um einen Anschlag auf Ebene der Psyche und Information, dessen Ziel es war, russophobe Slawen als psychokulturellen Typus und politische Macht zu schaffen. So eine Art Orks im Dienste westlicher Sarumane. Diesen sollte es zufallen, die Ukraine Russland zu entreißen und sie diesem als eine „antirussische Rus“ entgegenzustellen, als eine „freie und demokratische“ Alternative zum „Imperium“. Ins Dasein kam das beispielsweise durch das galizische Projekt, das von Anbeginn an unter den Fittichen von Österreich-Ungarn und Kaiserdeutschland betrieben wurde, später vom Dritten Reich, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom CIA und BND.
Nach der „Orangefarbenen Revolution“ schien es dem Westen wohl, dass die gestellte Aufgabe gelöst wird – aber das klappte nicht. Ende 2013 sah es auch so aus, als stehe man kurz vor seinem Ziel, dass das Joch der Europäischen Union schon am Halse Janukowitschs und der Ukraine hängt. Doch hier fiel die Rolle Russlands ins Gewicht (möglicherweise auch die Chinas), und Janukowitsch beschloss wohl, einen kleinen Reibach zu machen und sträubte sich. In diesem Augenblick hat der Westen einerseits Janukowitsch selbst und andererseits den friedlichen, „orangenen“ Weg der Entfremdung der Ukraine von Russland fallengelassen. Er setzte nun auf die Bandera-Banden, auf die ukrainischen Neonazis und Russophoben, das Produkt genau der psychohistorischen Operation, die die Deutschen noch vor anderthalb Jahrhunderten begonnen haben, deren Staffel von den Nazis im 2. Weltkrieg übernommen wurde – sie schufen die SS-Division „Galizien“; seit den 1990-ern nun haben die Erben des Dritten Reichs in der Idee der Schaffung einer Neuen Weltordnung – die Amerikaner – diese Arbeit durchgeführt.
Das Maximalprogramm für die Ukraine wäre das Entstehen einer Macht, die bei Bedarf den entscheidenden Teil eines Kriegs gegen Russland auf sich nimmt und dabei noch selbst untergeht
Das Endergebnis dieser jahrelangen Staffelübergabe ist der Putsch der Neonazis und Bandera-Banden vom Februar 2014 in Kiew. Durchgeführt wurde er unter der Anleitung US-amerikanischer Experten, und es beginnt nun die Bildung eines antirussischen Bandera-Staates. Erstmals gelingt es dem Westen, das Fundament für einen vollkommen antirussischen (noch weit russophoberen als Polen), slawischen (dazu noch nicht eines katholischen, sondern orthodoxen) Staates zu legen. Vom demographischen Potential her kann es eine von Bandera-Ideologen geführte Ukraine, besonders in Allianz mit Polen, militärisch durchaus mit Russland aufnehmen, umso mehr, zählt man eine Unterstützung durch die NATO hinzu.
Das Mindestprogramm, dass das vom Westen geschaffene slawische Neonazi-Bandera-Reich umsetzen muss, ist ständiger Druck auf Russland, Provokation auf verschiedenste Weise bis hin zu Anschlägen, und bei einer adäquaten Reaktion darauf folgen Medienkampagnen über die „freie und demokratische Ukraine“, die angeblich durch das zur Wiedererrichtung eines Imperiums strebende Russland bedrängt wird; kurz gesagt, eine Darstellung der kleinen Ukraine als Opfer des großen Russland, ganz nach dem in Jugoslawien bereits praktizierten Szenario „arme Albaner, Opfer der bösen Serben“.
Das Maximalprogramm wäre das selbe, wie auch in den 1930-er Jahren bei der Schaffung des deutschen Nazi-Reichs: also die Schaffung einer Macht, die bei Bedarf durch den Westen den entscheidenden Teil des Kriegs gegen Russland auf sich nimmt und Russland maximal strapaziert, und dabei noch selbst untergeht. Anders gesprochen handelt es sich um eine endgültige Lösung der slawischen / russischen Frage, und zwar mithilfe der Kraft der Slawen / Russen selbst, mit einer nachfolgenden Aufteilung Russlands bzw. des nördlichen Eurasien und einer Aneignung der eurasischen Ressourcen und des Raumes. Aber, wie man so schön sagt, auf dem Papier sieht das alles noch ganz glatt aus.
Die Geschichte ist eine hinterhältige Dame, und es reicht, sich in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, wie jene geendet haben, die eine endgültige Lösung der „russischen Frage“ anstrebten. Das alles auch noch unter Nichtbeachtung dessen, wie es sich im Osten und Südosten der Ukraine verhält. Man muss dabei freilich eines bedenken: Das derzeitige Entfremden der Ukraine von Russland wird geplant als Entfremdung zum Zweck der Druckausübung auf Russland, oder zum Zweck eines Schlags mit den Kräften des Neonazi-Bandera-Regimes. Das ist, unter anderem (und anderes gibt es ja auch: die Rivalitäten in der US-amerikanischen Spitze, die Lage Obamas nach dem für ihn blassen Jahr 2013, die Probleme zwischen den USA und Deutschland, die Spielereien Chinas in Osteuropa usw.), wie die USA auf die Handlungen Russlands im Jahr 2013 reagieren.
Es sieht folglich danach aus, dass sie – wenigstens aber die gegenwärtige US-Administration und die Clans, die hinter selbiger stehen und die ihr Ansehen vor ihren Herren retten müssen – zu aktiven Handlungen übergehen: In zwei Jahren sind Wahlen, die Demokraten wollen selbstverständlich im Weißen Haus verbleiben und Obama muss einem neuen, nun schon weißen Präsidenten Vorarbeit leisten. Wer das sein soll, scheint klar – Madame Clinton, die noch im Dezember 2012 über die Zollunion in Raserei geriet](http://www.ft.com/intl/cms/s/0/a5b15b14-3fcf-11e2-9f71-00144feabdc0.html#axzz31aBYMXAy "Clinton vows to thwart new Soviet Union"), worin sie eine Re-Sowjetifizierung des postsowjetischen Raumes sah und deshalb verlauten ließ, dass die USA solchen Bestrebungen auf jede erdenkliche Weise zuwider wirken werden. Von diesem Segment der US-Elite hat Russland nichts Gutes zu erwarten.
Tragen Sie nicht ein wenig zu dick auf?
Ich wünschte, ich würde mich irren, so dass man sagen könnte, ich trage zu dick auf. Allerdings beschäftige ich mich schon sehr lange mit einem Studium des weltweiten Machtkampfes, des Kampfes um Information und Ressourcen, ich analysiere Zielstellungen und Strategien der nordatlantischen Eliten. Ich möchte mich wiederholen: Russland ist selbst in seinem gegenwärtigen Zustand bislang das einzige Hindernis auf ihrem Weg zur Weltherrschaft. Einer der letzten Chefs der sowjetischen Aufklärung, L.W. Schebarschin, hat in diesem Zusammenhang einmal geäußert: Der Westen braucht von Russland nur eines – dass es Russland nicht mehr gibt. Dass es im strategischen, geopolitischen Sinn verschwindet. Um dieses Verschwinden zu bewerkstelligen, braucht es einen Rammbock, wie seinerzeit Hitler.
Die nordatlantischen Eliten sind ein viel ernsthafterer Gegner als Hitler mit seinem Dritten Reich
Unser Panzerzug muss aus diesem Grunde immer auf dem Abstellgleis bereitstehen: Wer gewarnt ist, der ist gewappnet. Es ist besser, zu dick aufzutragen und sich zu irren, als eine Wiederholung des „22. Juni 1941“ zuzulassen, zumal die nordatlantischen Eliten ein viel gefährlicherer Gegner sind, als Hitler mit seinem Dritten Reich es je gewesen ist, der ohnedies noch allein gegen fast die gesamte Welt angetreten war. Heute sind wir es, die fast allein gegen die ganze Welt stehen, und die Russische Föderation ist schon lange keine Sowjetunion mehr, nicht, was ihr Potential angeht, und wichtiger: lange nicht, was die Qualität ihrer Humanressourcen betrifft.
Was soll aus der Ukraine und ihrer Wirtschaft werden, wenn das Bandera-Regime seine Positionen festigen kann?
Ruinen. Nichts anderes kann daraus werden. Eine teils ausgerottete, teils unterdrückte und teils vertriebene russische Bevölkerung. Zerstörte Industrie und vom Westen, teilweise auch von den Chinesen, aufgekaufte Ländereien.
Aber in einem solchen Falle wären doch Massenunruhen und der Sturz des Bandera-Regimes möglich?
Theoretisch ja, aber es ist schwer, ein Regime zu stürzen, hinter dem der Westen steht. So etwas war noch möglich, als die UdSSR existiert hat – eine zweite Supermacht, die die Schwachen dieser Welt in ihrem Kampf gegen die Starken, gegen die „Eiserne Ferse“ der Bonzen, unterstützen konnte. Wahrscheinlicher ist deshalb eine andere Variante: das Regime und der Westen werden es versuchen, die sozialen Spannungen der Unterschicht auf den östlichen Nachbarn auszurichten, indem sie diesen als die Quelle aller Nöte definieren, deren Ursachen als in der „Knute des Russischen Reiches“, im „sowjetischen Imperialismus“ usw. liegend beschrieben werden.
Aber ich will es noch einmal sagen: die Geschichte ist eine hinterhältige Dame, es kann alles ganz anders kommen. Die Zukunft ist nicht vorherbestimmt, sie bildet sich im Kampf, im Zusammenstoß von Willen und Kräften, und deshalb hängt sie von uns ab, von unseren Handlungen. Leider ist die Partie in der Ukraine vollkommen talentlos verloren gegangen. Unsere Botschafter haben mit den ukrainischen Oligarchen gearbeitet und dabei ihre eigenen Interessen verfolgt, dabei vollkommen vergessen, dass es das Volk, die Bevölkerung gibt, darunter auch eine pro-russische – der Dollar indes trübt den Verstand; gleichzeitig nahm der Westen sowohl die Oligarchen, als auch die aktivsten antirussischen Kräfte, Schichten und Gruppen unter seine Fittiche. Diese Gruppen waren dann auch der Joker, mithilfe dessen der Westen die nur scheinbar pro-russischen Oligarchen und ihren Strohmann mit seiner kriminellen Vergangenheit schlug.
Allerdings bedeutet eine verloren gegangene Partie noch nicht die Niederlage im Spiel. Um dieses dennoch zu gewinnen oder wenigstens nicht zu verlieren, muss man die eigenen Fehler kompromisslos aufarbeiten und im eigenen Hause für Ordnung sorgen. Dass die „ukrainische Partie“ für uns verloren gegangen ist, ist ein Ergebnis unserer inneren Probleme, der inneren Missverhältnisse.
Gehen wir von der Ukraine auf eine globalere Ebene über; kann man davon sprechen, dass es zu Veränderungen im Kräfteverhältnis der Weltarena kommen wird, bzw. dass solche Veränderungen teilweise wohl auch schon im vergangenen Jahr eingetreten sind?
Man kann schwerlich von prinzipiellen, oder qualitativen Veränderungen des weltweiten Kräfteverhältnisses sprechen. Es läuft die ganz normale, tägliche Routine-Arbeit. Die Situation in Syrien und in der Ukraine sind bei weitem nicht beigelegt, und es ist klar, dass interessierte Kräfte im Westen auch weiterhin Druck ausüben werden – der Kampf geht weiter. Derzeit platzieren die Spieler, ganz wie in dem wunderbaren Spiel Wei Chi (Go), ihre Steine.
Wladimir Putin
Womit hängt der geopolitische Erfolg Wladimir Putins im vergangenen Jahr zusammen?
Die Erfolge Wladimir Putins und Russlands auf dem internationalen Parkett, zumindest hinsichtlich Syriens und Snowdens, sind zum einen durch günstige Umstände bedingt gewesen – also durch fehlende Einigkeit der Weltspitze, durch das Vorhandensein von zwei einander zuwider arbeitenden Parteien, deren Widersprüche man sich zunutze machen konnte.
Andererseits hat ein gewisser Block der Weltspitze in den Jahren 2011-2012 einen enormen Druck auf Putin ausgeübt, um danach zu versuchen, ihn einem Scherbengericht zu überantworten – es genügt, sich die Anti-Putin-Kampagnen in den Medien zu betrachten. Dabei war es der Bemühungen allerdings zu viel des Guten: die RF und ihre Führung hatte de facto kein Rückzugsgebiet. Ich bin mir sicher, dass Putin nie Illusionen darüber gehabt hat, mit wem er es im Westen zu tun hat, wer in Wahrheit die sind, die er „Partner“ nennt, aber die Ereignisse in Libyen und Syrien mit dem brutalen Mord an einer Führungspersönlichkeit ohne Gericht und Verhandlung sowie dem weiteren, versuchten Mord an einer anderen haben in aller Deutlichkeit die (im wahrsten Sinne des Wortes) tödliche Gefahr von Kompromissen mit der westlichen Führungsspitze demonstriert, die immer deutlicher die Verhaltensmuster einer organisierten Verbrecherbande an den Tag legt.
Und, last not least: Der Wirtschafts-Cluster, an dem Putin und sein Team insbesondere Interesse haben – also der Erdöl- und Erdgassektor (momentan ist dieser Sektor in Russland „staatstragend“) – bedarf nicht nur eines Erhalts der Souveränität der Russischen Föderation, sondern auch einer Expansion, ganz zu schweigen von einem Schutz der Grenzen der Wirtschaft. Übrigens sind Syrien und die Ukraine eng verbunden mit der Entwicklung der Erdgasbranche und der internationalen Konkurrenz auf diesem Gebiet.
Nichtsdestoweniger muss man, was Syrien betrifft, anerkennen: Würde die Entfachung eines regionalen Krieges im Nahen Osten nicht den Interessen eines bestimmten Blocks innerhalb der Weltspitze der Kapitalisten, der „Herren des weltweiten Spiels“, widersprechen, so wäre es für die Russland und China sehr schwer gewesen, diese Aggression zu stoppen.
Wer war es denn, der daran kein Interesse hatte?
Fangen wir einmal damit an, wer Interesse hatte. Solcher Parteien gab es drei: die anglo-amerikanischen Erdölkonzerne, die israelische Lobby in den USA, Israel und Saudi-Arabien – jede davon hatte ein besonderes, eigenes Interesse. Saudi-Arabien und Israel (und folglich auch die Israel-Lobby in den USA) sind höchst beunruhigt durch die Versuche Obamas (oder besser: der Clans, die hinter diesem Präsidenten-Aufsteller stehen), die Beziehungen zum Iran zu verbessern und diesen womöglich zum Alliierten zu machen. Das wäre ein bedeutender Erfolg der USA in ihrer Nahost- und – weiter gefasst – in ihrer Eurasien-Politik. Der große, geopolitisch und geoökonomisch wichtige und erdölreiche Iran ist als Alliierter beispielsweise dem kleinen Israel vorzuziehen. Eine Allianz mit den USA würden den Iran aus seiner De-facto-Allianz mit China herauslösen, dabei aber die Spannungen im Nahen Osten, derer die USA so sehr bedürfen, erhalten – im Sinne des schiitischen Iran gegen die sunnitischen arabischen Monarchien.
Ein Tauwetter in den Beziehungen zwischen den USA und dem Iran, das Obama und ein Teil des iranischen Establishments anstreben, ist genau das, was Saudi-Arabien und Israel geradezu zu Tode schreckt; es ist das, was sie um jeden Preis zu vereiteln suchen, auch mittels eines Kriegs gegen Syrien, dessen Alliierter der Iran ist.
Stellen wir uns einmal vor: Den Brandstiftern ist es gelungen, das Feuer eines Regionalkriegs zu entfachen. Was muss der Iran über kurz oder lang unternehmen? Die Straße von Hormus dichtmachen. In Folge dessen schnellt der Erdölpreis in die Höhe. Cui bono – wem nutzt das? Den anglo-amerikanischen Erdölkonzernen. Und wer verliert? Die Europäische Union, China und jener (durchaus mächtige) Teil der anglo-amerikanischen Finanz- und Wirtschaftselite, der sich in die Europäische Union und China eingebracht hat, vor allem die Rothschilds, ganz zu schweigen von den Chinesen und einem bestimmten Block innerhalb der westeuropäischen – insbesondere der deutschen – Eliten, die sich (im Gegensatz zu den Franzosen) nicht an dem Abenteuer des syrischen Tlass-Clans beteiligen wollten, den Assad-Clan in seiner Führungsrolle zu ersetzen. Diese Konstellationen, oder wie man im 18. Jahrhundert gesagt hätte: „Konjunkturen“ plus aktives Handeln der Führung der Russischen Föderation bestimmten das Ergebnis. Aber dieses Ergebnis ist ein vorläufiges. In Syrien und um Syrien herum hat sich noch nichts entschieden, gleich wie in der Ukraine.
Da wir gerade den Staatsstreich in der Ukraine thematisiert hatten, darf man einen anderen, 2013 allerdings misslungenen Staatsstreich in einer anderen ehemaligen Sowjetrepublik nicht unerwähnt lassen – Kirgisien. Noch so eine Surrogat-Revolution, die in den Goldminen im Naryn-Distrikt mit ökologischen und Anti-Korruptions-Losungen hatte beginnen und in eine großangelegte Volksbewegung hätte ausufern sollen. Letzteres hätte das SOZ-Spitzentreffen in Bischkek verhindert, ebenso auch die Übernahme der Kontrolle über den Militärflughafen Manas durch die Chinesen. Doch im allerletzten Moment hat etwas nicht funktioniert. Der Analytiker Konstantin Tscheremnych erwähnte die interessanten Parallelen zwischen den Ereignissen in der Ukraine und Kirgisien: In beiden Fällen waren die Strukturen der Hisb-ut Tahrir involviert, einer Organisation, die nicht nur in Zentralasien, sondern auch in der Ukraine recht ungehindert operiert – Gebiete, in denen, wie in Syrien, die größten politischen Grabenkämpfe erst noch bevorstehen.
Die durchaus erfolgreiche Opposition Putins zu einem gewissen Teil der „Herren des globalen Spiels“ zeigte sich nicht nur in der Außen-, sondern auch in der Innenpolitik. Ich meine seine Rede beim Waldai-Forum und seine Antworten auf die Fragen russischer und ausländischer Journalisten. Im ersten Fall hat der Präsident im Grunde die Notwendigkeit einer staatlichen Ideologie anerkannt (und tatsächlich ist ohne eine Ideologie, das heißt: ohne das Deklarieren von Sinn und Zielen, keine Entwicklung möglich, sondern es gibt dann bestenfalls Geschäftemacherei, das Verbraten von Geld und Mummenschanz im Takt einer dann schon fremden, oft genug feindseligen Ideologie); er hat sich unzweideutig zu traditionellen Werten, darunter auch zur Familie, geäußert, also zu Dingen, die der Westen mehr und mehr verliert.
Beim Treffen mit Journalisten hat Putin diese – insbesondere die westlichen unter ihnen – ziemlich verstört, als er Stalin mit Cromwell verglich. Der Präsident formulierte seine Frage folgendermaßen: Inwiefern ist Stalin schlimmer als Cromwell? Cromwell ist, wie Stalin, schuld am Tod einer Menge an Menschen, aber in England errichtet man Denkmäler zu seinen Ehren; folglich…
Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, nicht Cromwell, sondern König Heinrich VIII zum Vergleich heranzuziehen, auf dessen Befehl um die 10% der Bevölkerung Englands ins Jenseits befördert worden sind, und zwar einzig dafür, dass sie keine Mittel für ihre eigene Existenz hatten, da sie – von den Landlords von ihrem Boden vertrieben – zu Streunern werden mussten. Aber auch Elisabeth I. stand ihrem Väterchen in nicht vielem nach. Aber das Beispiel Cromwells ist auch gut.
„Kreative Klasse“
Noch während dieses Treffens beantwortete der Präsident eine Frage über die Zerstörung des Bildungssystems durch das entsprechende Ministerium und witzelte (in jedem Witz ist ein Teil eines Witzes!), dass dieses Ministerium offenbar von Vertretern der „kreativen Klasse“ infiltriert worden ist.
Als „kreative Klasse“ bezeichnen die Medien der Compradores eine ganze Melange an Menschen vom simplen Büroangestellten bis zu den intellektuellen und emotionalen (Showbiz!) Dienstleistern für die Elite derselben Compradores. Vom realwirtschaftlichen Gesichtspunkt, vom Gesichtspunkt der realen Produktion oder – weiter gefasst – vom Gesichtspunkt des realen Lebens handelt es sich dabei um eine wenig gebildete, im sozialen Sinne nutzlose und drohnenartige Schicht, die vollkommen unpatriotisch – um nicht zu sagen: im Geiste antirussisch – ist, die sich zu Konsumhurerei, Individualismus, Sozialdarwinismus, Gruppenegoismus und Snobismus gegenüber dem Volk bekennt, welches für sie „Gemüse“, „Pöbel“ usw. ist.
Diese „KreaKlas“ sind das glamourös angetünchte Resultat sozialer Verwahrlosung und einer Degradierung der Bildung. Die „kreative Klasse“ sind die ungefähr 10-12% der Bevölkerung, die sich mit der unteren Mittelschicht des Marktes abgefunden haben und als Produkt sozialer Verwesung nichts zu produzieren in der Lage sind als Zerfall und Zerstörung. In diesem Sinne sind jene, welche die Bildungsreform durchgeführt haben, wahre „KeaKlas“, und die Bemerkung Putins trifft ins Ziel, ganz egal, was er eigentlich damit gemeint haben mag.
Snowden – zuerst ein inneramerikanischer Schachzug
Welche Faktoren führten Ihrer Meinung nach zu Snowdens Enthüllungen?
Hier haben wir es wohl mit einer schlauen und nicht ganz durchsichtigen Sache zu tun, obwohl man zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon sagen kann, wer hier verloren hat (woran man vielleicht noch nicht den Planer, aber zumindest den Ausführenden erkennen kann); man könnte auch das Gesamtergebnis analysieren, das für meine Begriffe ein durchaus positives ist. Ich will mich kurz fassen, da die Analytikerin Jelena Larina in ihren Veröffentlichungen in der „Komsomolskaja Pravda“ bereits ein ziemlich vollständiges Bild gezeichnet hat.
Ich bin der Meinung, dass der Fall Snowden – eine Sache mit mindestens doppeltem Boden – vor allem in der Konfrontation zweier politischer Cluster innerhalb der USA begründet liegt, die gleichzeitig auch für die Interessen zweier wirtschaftlicher Blöcke stehen – das ist einerseits die Hightech-IT, und andererseits der traditionelle Industriesektor. Im Endergebnis der Flucht und der Enthüllungen Snowdens bekam der überaus mächtige Nachrichtendienst NSA – als ein „Gesicht“ der IT-Industrie – einen gewaltigen Schlag verpasst. Diesen Schlag wurde aller Wahrscheinlichkeit nach durch die Kräfte des CIA geführt, die wiederum eng mit dem Industriesektor verbandelt ist, in erster Linie mit dem Erdölgeschäft und mit dem Bush-Clan, also mit den Illuminaten von Yale, die ja auch an den Ursprüngen der CIA stehen.
Es ist klar, dass sich die CIA in diesem Fall irgendwie mit den Geheimdiensten gewisser anderer Länder einigen musste, was bei den weltweit ablaufenden Kämpfen um Macht, Information und Ressourcen auch gar nicht so selten vorkommt. Die Interessen von Konzernen oder Behörden und Interessen bestimmter Clans sind den verschiedenen nationalen Interessen oft taktisch vorangstellt.
Snowdens Aktion verschlechterte die US-amerikanischen Beziehung zu den Europäern in dem Moment, als die Gespräche über die transatlantische Integration intensiviert wurden. Snowden ist Joker in nicht nur einem Spiel
Verlierer ist Obama, den man öffentlich und demütigend vorgeführt hat. Aus diesem Grunde irren die, welche annehmen, dass diese ganze Geschichte von den Clans inspiriert worden ist, die hinter Obama stehen, um die US-amerikanischen Geheimdienste zu kompromittieren, welche im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu viel an Macht in ihren Händen konzentriert haben. Der Skandal betraf nicht die gesamte Geheimdienst-Community der USA, sondern einen bestimmten der Dienste, und passierte zudem noch in einer für Obama recht unpassenden Zeit. Obama war einige Jahre lang damit beschäftigt, seine „Ställe“ von denen zu bereinigen, die irgendwie mit den Bushs, den Neocons, mit Yale zusammenhängen, und hier bekam er es plötzlich mit Gegenwehr zu tun.
Eine weitere Ebene des Skandals ist die Verschlechterung der Beziehung zu den Europäern, und das ausgerechnet in dem Moment, als die Gespräche über die transatlantische Integration intensiviert wurden. Snowden ist also Joker in nicht nur einem Spiel, und es ist gut möglich, dass wir gar nicht von all diesen Spielen letztlich erfahren werden.
Der Fall Snowden ist noch unter einem weiteren Gesichtspunkt sehr wichtig. Er riss der US-amerikanischen IT-Community die Masken vom Gesicht, mit denen sie sich als ein der Politik ferner Intellekt und ein Geschäft darstellte; die Großen und angeblich einsamen Kämpfer in dieser Branche – die Begründer der verschiedenen sozialen Netzwerke, die sich angeblich einzig aufgrund ihres Talents und großen Glück haben durchsetzen können, sind gleichermaßen demaskiert. Dank Snowdens Enthüllungen ist nun allen klar, dass die IT-Strukturen wenn schon keine funktionellen Organe der NSA und des militärindustriellen Komplex sind, so doch mindestens Junior-Partner, geschaffen vom US-amerikanischen Militärsektor im Sinne seiner eigenen Ziele, mit denen genau dieser Sektor bedient wird und von wo aus auch die Finanzierung kommt; in erster Linie wäre das die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA). Mark Zuckerberg, Larry Page, Steve Jobs und andere sind durchaus keine „self-made men“, keine Genies mit viel Glück, die den „amerikanischen Traum“ illustrieren, sondern Produkte der Betätigung des militrärisch-industriellen Komplex, der Geheimdienste und der Propagandamaschine der USA.
Europäische Union
Was passiert denn mit der Eurointegration – wird es Deutschland gelingen, die Vereinigung Europas um sich herum weiter voranzutreiben?
Ich bin der Ansicht, dass die Probleme der Europäischen Union sich verschärfen werden. Diese hässliche und in meinen Augen nicht lebensfähige Konstruktion ist in der Form, in der sie entstanden ist, als eines der Elemente der neoliberalen Konterrevolution geschaffen worden. Dieses Projekt ist inzwischen abgeschlossen, die Europäische Union wird inzwischen von inneren Spannungen zerrissen – ganz zu schweigen davon, dass sie im Grunde ein Wirtschaftskoloss auf tönernen militärpolitischen Füßen ist. Die EU wird wohl kaum de jure zerfallen, aber de facto bildet sich darin ein „karolingischer Kern“ mit Deutschland im Zentrum und eine ausgebeutete Peripherie. Abgesehen davon wird auch der „Kern“ selbst große Probleme bekommen, die mit der Vergrößerung der demographischen Masse afrikanischer und arabisch-islamischer Bevölkerungsgruppen zu tun haben.
Äußerlich betrachtet ist Deutschland der Hauptnutznießer des großen Betrugs mit Namen „Europäische Union“. Im wirtschaftlichen Sinne haben die Deutschen das erreicht, was Hitler, der Schöpfer der ersten Version einer Europäischen Union (in Form des Dritten Reichs) auf militärpolitischem Wege angestrebt hat. Berücksichtigt man allerdings die weitreichende Kontrolle, die von den USA und den US-amerikanischen transnationalen Konzernen über die BRD ausgeübt wird – die BRD ist ja überhaupt als ein US-amerikanisches Protektorat auf der Grundlage von Bedingungen entstanden, die man Adenauer in der Kanzlerakte diktiert hatte (insgesamt eine massive Einschränkung der Souveränität Deutschlands) –, die Kontrolle über das wirtschaftliche, politische und intellektuelle Leben der Deutschen, dann gibt es weit weniger Begeisterung über die deutschen Erfolge.
Schon 1940 hat Churchill geäußert, dass Großbritannien nicht gegen Hitler oder gegen die Nationalsozialisten Krieg führt, sondern gegen den deutschen Geist, gegen den Geist Schillers, damit dieser nie wiedererstarken möge. Nach 1945 ist es dem kollektiven Westen (wohinein Israel gehört) gelungen, den Deutschen als Volk eine Kollektivschuld für den Nationalsozialismus einzubläuen, sie in vielerlei Hinsicht geistlich zu kastrieren und die in eine derartige soziokulturelle Ecke zu drängen, in der es für jeden auch noch so kleinsten Widerstand sofort die Anschuldigung „Nazi“ gibt. Im Vergleich mit dieser psychohistorischen Lobotomie nimmt sich die Herangehensweise Stalins viel humaner aus: „Die Hitlers kommen und gehen, das deutsche Volk aber bleibt.“ Übrigens gibt es bei den Russen, welche den Hauptanteil von Hitlers Kriegsmaschinerie abbekommen haben und deren Opferzahlen im Krieg mit keinem anderen – ich betone: mit keinem einzigen anderen – Volk vergleichbar sind, keinerlei historischen Hass gegenüber den Deutschen, denn die Schuld trägt das nationalsozialistische Regime und jene Kräfte in Großbritannien und den USA, die es an die Macht gebracht haben, um mit den Händen der Deutschen Krieg gegen die UdSSR zu führen.
Eine Nekrokratie, die sich vom proklamierten Tod einer ganzen Zivilisation nährt
(…) Die heutige Lage in Europa kann man frei nach Gibbon charakterisieren: „Verfall und Untergang“, „Decline and fall“, nur handelt es sich nicht mehr nur um das Römische Reich, sondern um Europa als Zivilisation, die vom Todeswillen ergriffen ist. Denn im Verhältnis zum Verlust religiöser, kultureller und rassisch-ethnischer Identität, dem Verlust der Arbeitsethik, der Liebe zum und der Freude am Fleiß, im Verhältnis zum Zerfall der Familie bei gleichzeitiger Legalisierung von Perversionen und Pathologien (es fehlt einzig noch eine Legalisierung von Pädophilie und Kannibalismus) sind die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme Europas noch gar nichts, obschon sehr destruktiv. Man möchte hoffen, dass sich in Europa Kräfte finden, die dazu in der Lage wären, diese euro-bürokratischen Nekrosen abzuschütteln, diese Nekrokratie, die sich vom proklamierten Tod einer ganzen Zivilisation nährt.
Wie bewerten Sie die kurzfristigen Perspektiven der USA – werden ihre geopolitischen und finanziellen Probleme eher noch zunehmen?
Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich die Lage im Amerika des Jahres 2014 verbessert. Es ist „was faul im Staate“ Amerika. Früher funktionierte das System unter jedem beliebigen, selbst unter schwachen oder nicht allzu kompetenten Präsidenten, beispielsweise unter Ford und Carter, welchletzterer selbst von einigen US-amerikanischen Kommentatoren als „Idiot“ bezeichnet wird. Heute freilich ist das US-amerikanische System derart geschwächt, dass der momentane schwache, ich würde sogar sagen: einer der schwächsten Präsidenten der US-amerikanischen Geschichte überhaupt, sich auf dem System insgesamt niederschlägt. Man bekommt den Eindruck, dass die herrschenden US-Eliten, ebenso auch die westeuropäischen (schaut euch doch diese Blairs-Sarkozys-Hollandes und die übrigen an), in einer tiefen Krise stecken und stetig weiter verkommen. Es handelt sich um ein echtes Problem der kapitalistischen Welt-Eliten und ihrer abgeschotteten übernationalen Strukturen, in denen das Vorgehen und die Steuerung weltweit abgestimmt wird. (…)
Nahost, China, Russland
Wie schnell wird die Neukonfiguration in Nahost in diesem Jahr verlaufen?
Dass es solche Pläne gibt, ist nicht strittig. Aber es gibt dabei eine Menge an Unbekannten: Wie genau wird der US-amerikanische Truppenabzug aus Afghanistan verlaufen? Wird es den USA gelingen, ihre Beziehungen zum Iran zu normalisieren? Wird es den daran interessierten Kräften gelingen, Syrien vollkommen zu zerrütten und wenn ja, dann wie? Was nun hingegen 2013 endgültig klar geworden ist, ist das Fiasko der Versuche Erdogans, die Türkei zu einer Art regionalem Machtpol aufzubauen. Erdogan hat sich mit seiner Syrienpolitik fatal geirrt. Da er den Sturz Assads unausweichlich kommen sah, eilte er behände in das Lager seiner Gegner – und verhob sich: Akelas Sprung ging fehl. Dazu kamen schwerwiegende innere Probleme, nämlich die Unruhen in Stambul wegen der zwei abgesägten Bäume im Stadtpark – die Sache mit der Ökologie eben.
Der größte „Nagel“ wurde aber durch den Sturz des Mursi-Regimes in Ägypten eingeschlagen. Erdogan setzte auf eine Allianz mit der „Moslembruderschaft“ (Ichwan), auf eine gewisse Achse Stambul – Kairo, welche die Ansprüche des Erdogan-Regimes auf einen solchen Machtpol festigen sollte und vielen überhaupt nicht behagte, einschließlich der RF und Israel. Übrigens sind Meldungen über die Beteiligung israelischer Geheimdienste an den Vorbereitungen zum Sturz Mursis, der schließlich durch die ägyptischen Militärs unter As-Sisi bewerkstelligt wurde, im Internet frei verfügbar. In jedem Falle werden die „Machtpol“-Phantasien der Türkei in naher Zukunft nicht mehr Wirklichkeit werden.
Kann es in diesem Jahr zu einer bedeutenden Verschärfung der Konfrontation zwischen den USA und China im Asiatisch-Pazifischen Raum kommen?
Solche Dinge kann man in einer sich rasant ändernden Welt schlecht prognostizieren. Weder die USA noch China sind in diesem Augenblick an einer Konfrontation interessiert – dabei bleibt die gegenseitige Opposition natürlich erhalten. Eher möglich ist eine Zunahme der Spannungen in den Beziehungen zwischen Japan und China.
Die letzte Frage: Welche wichtigsten Bedrohungen sehen Sie für Russland im Jahr 2014?
Im Jahr 2014 bestehen für Russland dieselben größten Bedrohungen, wie auch schon 2013: Korruption, verlangsamtes Wirtschaftswachstum, vermehrte soziale Polarisation und als Folge dessen eine Unzufriedenheit der Menschen, besonders derer, die tatsächlich für Putin gestimmt haben. Die Kombination „verlangsamtes Wirtschaftswachstum – Korruption – Ansteigen der sozialen Polarisation und Spannung“ schafft einen Teufelskreis. Vor dem Hintergrund einer stagnierenden Wirtschaft kompensieren die herrschenden Gruppen ihre Verluste durch die Komponente der Korruption, was wiederum soziale Spannungen schafft und die wirtschaftliche Lage noch weiter verschlechtert. All das droht, sich in einer Verschärfung der sozialen Lage niederzuschlagen, was von auswärtigen Playern ausgenutzt oder sogar erst noch angeheizt werden kann. Zumal es uns an wunden Punkten nicht gerade mangelt: der Kaukasus, das Wolgagebiet, einige Regionen in Sibirien, wo es von Zeit zu Zeit Gerede über eine „sibirische Selbstgenügsamkeit“ gibt. Und natürlich wird vieles noch von der weltweiten wirtschaftlichen Situation abhängen.
In diesem Jahr und in absehbarer Zukunft wird sich der Kampf innerhalb der Welt-Eliten noch verstärken. Die neoliberale Konterrevolution ist vorbei – vergessen Sie das. Ein anti-liberaler Kurs und mit diesem zusammenhängende Kräfte nehmen Fahrt auf, und diese werden versuchen, die Nutznießer der vorbeigehenden Epoche auszuschalten, vor allem anderen ist das das sogenannte „junge Geld“. Das weltweite Konfrontationsverhältnis zwischen den Anhängern der neoliberalen und der antiliberalen Ordnung wird sich zweifelsohne auch auf dem Schauplatz Russland niederschlagen und seine Pointen einbringen. Es wird auf jeden Fall nicht langweilig werden.
Quelle: vz.ru